Vyleta, Dan
Versteckspiele hinter uns zu lassen.
Sonja erwachte in dem Augenblick,
als er sich zu bewegen begann. Lange Erfahrung gebot ihr, nichts zu sagen.
Männer, dachte sie, wachen gerne für sich auf, sammeln ihre Gedanken und
betrachten ihr Werk. Sie verfolgte, wie er sich aufsetzte und die Luft einsog,
als seine Füße den kalten Boden berührten. Wie ein Kind stieg er aus dem Bett.
Er wollte einfach nicht akzeptieren, dass es da draußen kälter war als unter
der Decke. Als er es endlich aus dem Zimmer schaffte, fiel er prompt auf die
Tasten des Flügels. Das Affengeschrei überdeckte ihr Lachen. Sonja blieb im
Bett, genoss die Behaglichkeit und zog seine Hälfte der Decke zusätzlich über
sich. Das Haar um sie herum roch sauber, und sie war froh, dass sie sich tags
zuvor gewaschen hatte.
Während
sie so dalag, wanderten ihre Gedanken zurück zu der Situation nachts, als Pavel
seinen Monolog gehalten und sie seine Lippen betrachtet hatte. Sie dachte an
seine Ernsthaftigkeit, und wie wichtig es ihm zu sein schien, dass sie ihm
glaubte. Sie lächelte in die Finsternis. Und dieser Unsinn mit Dostojewski!
»Klebrige Knospen«, also wirklich. Da redete er über seine Lebensgier und wurde
rot, als sie sich die Jacke aufknöpfte.
Sie fragte
sich, ob er immer schon so gewesen war: ein Mann, der einen Schuljungen in sich
trug, den er unterdrückte und hinter ein paar Soldatengesten und dem einen
oder anderen Jargonbrocken verbarg. Er war weltklug genug, zumeist wenigstens,
den Mund zu halten und wie ein Mann zu leben, bis dann plötzlich etwas in ihm
brach und alles herauswollte, dieses ganze Geschwafel, so aufrichtig es
zweifellos war. Dann war er wie ein Betrunkener, der bei einem offiziellen
Anlass den Mund nicht halten konnte, obwohl er doch wusste, dass es früher oder
später ein Nachspiel haben würde. Nicht einmal beschweren würde er sich, wenn
die Saaldiener kamen, ihn beim Kragen packten und zur Hintertür hinauswarfen.
Im Gegenteil, entschuldigen würde er sich dafür, dass er ihnen solche Mühe
machte. Es war kaum zu glauben, dass sie sich für einen solchen Mann
interessieren konnte. Es war ein liebenswürdiger Zug an ihm, kein Zweifel, und
gefährlich. Dieser Pavel stammte aus einer Welt, die sie verlassen hatte, als
sie zum ersten Mal vergewaltigt worden war.
Sie hörte,
wie er schließlich ging, und stand dann auch selbst bald auf, um einen Topf
Wasser auf dem Kohleofen heiß zu machen. Mit einem Teil davon kochte sie sich
einen Tee, mit dem Rest wusch sie sich Gesicht, Füße und Achseln. Erfrischt und
belebt, fütterte sie den Affen und hockte sich auf ihren Nachttopf. Wir leben in einer Zeit, dachte sie, da wir unsere Ausscheidungen per Hand hinaustragen. Fäkalien in Papier
gewickelt, den Bürgersteig hinauf und hinunter, die vom Affen, meine und sogar
die des Colonels. Wie konnte ein Mann wie Pavel in so einer Zeit
leben? Mit einem Lächeln und aus unerklärlichen Gründen froh gestimmt machte
sie sich Frühstück und spielte und summte Schubert-Lieder, bis das Telefon
klingelte und ihrer Freude ein Ende setzte. Es war Fosko, die Stimme voller
honigsüßer guter Laune.
»Bist du
allein, mein Schatz?«
»Ja.«
»Hattest du eine schöne Nacht?«
»Er ist geblieben. Wie du es wolltest.«
»Vorzüglich. Wie viel weiß er?«
»Die Russen haben ihn verhört. Gestern Abend.«
»Ja, ich weiß. Ich habe ihn da rausgeholt. Aber weiß er
über dich Bescheid, mein Schatz?«
»Über mich?«
»Komm
schon. Über dich und Boyd. Dass ihr zwei, wie sagt man, ein Verhältnis hattet?«
»Nein.
Wenigstens hat er sich nichts anmerken lassen, und ich bezweifle, dass er gut
lügen kann.«
»Kann er
dafür etwas anderes?«
Sie
zögerte. »Er ... konnte nicht. Seine Nieren, er sagte, sie täten ihm weh. Er
wollte nur gehalten werden.«
»Macht
nichts. Vielleicht ein andermal. Ich habe das dumme Gefühl, dass er sich in
dich verlieben wird. Die Jungfrau in Nöten. Er ist ganz der Typ dafür, meinst
du nicht? Hast du übrigens den Jungen gesehen?«
»Nein.«
»Auch gut.
Ich rufe später wieder an oder komme am besten kurz vorbei. Sonja, mein
Schatz?«
»Ja?«
»Ich
wüsste wirklich nicht, was ich ohne dich tun sollte.«
Sie legte
den Hörer ohne Eile auf die Gabel und fragte sich, wie sie es wagen konnte, den
Colonel zu belügen. Sie wusste, es war eine Dummheit. Es gab nichts, das Pavel
vor seinem Zorn schützen konnte, und Pavel selbst hatte ihr nichts zu bieten,
das dieses Risiko wert gewesen wäre.
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