Vyleta, Dan
Wange.
Söldmanns
Wanderjahre sind schwer zu rekonstruieren. Zwar war diese Art Wanderschaft eine
urdeutsche Tradition, wie sie nicht zuletzt in Goethes »Wilhelm Meister«
Niederschlag gefunden hatte, doch gehörte sie der Vergangenheit an, und als
der junge Ernst die Straße unter die Füße nahm, hielt man ihn sicher für kaum
mehr als einen Vagabunden. Im Herbst 1932 landete er in Berlin, gerade richtig,
um sich von den giftigen Beschimpfungen des schnauzbärtigen zukünftigen
Reichskanzlers und seiner ihm ergebenen braunhemdigen Gefolgschaft inspirieren
zu lassen. Nach der Machtergreifung (dieser schillernde Begriff drückt so viel
mehr aus, als er buchstäblich besagt) der Nazis versuchte Söldmann, in ihre
Reihen aufgenommen zu werden. Die Partei wollte ihn nicht. Sie war stolz auf
die Reinrassigkeit ihrer Mitgliedschaft und wollte ihre Ränge nicht durch
Degenerierte, Wendehälse und Opportunisten verwässert sehen. Ganz sicher wollte
man nichts mit dunkelhaarigen Zwergen zu tun haben, von Herrn Goebbels einmal
abgesehen. Söldmann versuchte es in den Parteizentralen in Charlottenburg,
Kreuzberg und Wedding und zuletzt auch noch in Berlin-Buch am nördlichen Rand
der Stadt. Nirgends erhielt er auch nur ein Einschreibeformular. Stattdessen
lachten sie ihm ins Gesicht und überschütteten ihn mit Spott, wie er es seit
frühester Kindheit kannte. In Buch verwiesen sie ihn nicht nur spaßeshalber an
die dort ansässige und viel gerühmte psychiatrische Klinik, die sich seit Mitte
des vorhergehenden Jahrhunderts einen Namen damit gemacht hatte, Homosexuelle
und andere Perverse genauester Untersuchung zu unterwerfen. Dort wurde ihm eine
freiwillige Sterilisation ans Herz gelegt.
Mit der im
Nachhinein für ihn so charakteristischen Beharrlichkeit suchte sich Söldmann
daraufhin einen Schneider, der ihm aus zweieinviertel Meter rauem braunem Stoff
seine eigene SA-Uniform schnitt. Am Tag, als er sie abholte, zog er sie stolz
vor dem billigen Spiegel an der schmutzigen Wand seiner Absteige an und fand,
dass die Uniformfarbe angenehm mit dem Braun seiner Augen harmonierte. Den
ganzen Morgen stand er am Fenster, bis er endlich einen Trupp großspurig
vorbeistolzierender Braunhemden sah. Schon rannte er hinunter und schloss sich
ihnen an. Irgendwie überrascht es, dass er tatsächlich von ihnen in ihre Reihen
aufgenommen wurde. Er wurde sogar eine Art Liebling von ein oder zwei der
freundlicheren Kameraden, denen sein Witz und sein sächsischer Akzent gefielen
und die Ernst immer wieder baten, ihnen seinen Pimmel zu zeigen, der für seinen
Körperbau unverhältnismäßig groß war. In dem Versuch, seine Bleibe zu
verschönern, hängte Söldmann mit geschickt platzierten Reißzwecken ein Dutzend
Zeitungsfotos seines Namensvetters Ernst Röhm bei sich auf, des Kopfes der SA,
den die Natur mit einem Gesicht wie eine Kartoffel und einem Körper wie ein
ganzer Sack von ihnen bedacht hatte. Der kleine Ernst verbrachte ganze Nächte
im Gespräch mit seinem geliebten Anführer, bis der 30. Juni 1934, die Nacht der
langen Messer, ihrer engen Verbindung ein jähes Ende bereitete. Zusammen mit
rund siebzig anderen wurde Röhm wegen Hochverrats und, wie das Gerücht umging,
konträren sexuellen Instinkten hingerichtet. Am nächsten Morgen, mit einem
Zeitschriftenbild des munter wirkenden Heinrich Himmler in Händen, verkündete
Söldmann seinen Wunsch, in die SS einzutreten. Seine Mitbewohner brachen in
Gelächter aus und gewöhnten es sich an, zu salutieren und den »Herrn
Obersturmgruppenführer« zu begrüßen, wann immer er die Gemeinschaftsküche
betrat. Söldmann schreckte das nicht ab, hatte er doch längst schon gelernt,
dass aller Humor, wie sagt man doch gleich, grausam war.
Es ist
unklar, wovon Söldmann während dieser ereignisreichen Jahre vor dem Krieg
lebte. Boshafte Zungen verorten ihn in der Cabaret-Szene, als Ansager, Clown
oder sexuelle Kuriosität. Etwas großzügiger ist die Behauptung, dass er von
den Gaben einer alternden, etwas brummigen jüdischen Liebhaberin lebte. Andere
wiederum beschreiben ihn als Zuhälter mit einem Stall klappriger Huren, die in
ihm ebenso sehr ihr Maskottchen wie ihren Arbeitgeber sahen. Was immer er
tatsächlich gewesen sein mag, er muss dabei die Bekanntschaft einiger
einflussreicher Leute gemacht haben, gelang es ihm doch zum Frühjahr 1938,
seinen Traum wahr zu machen. Nicht nur, dass er es in die Partei schaffte, die
ihm so lange den Beitritt verwehrt hatte, nein, seine
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