Vyleta, Dan
einmal. »Mehr als eine Pistole kostet,
wenn ich auf eure Hilfe zählen kann.«
»Sie
wollen uns für Hilfsdienste anheuern?«, fragte Paulchen schlecht gelaunt. Pavel
begriff, dass er sich falsch ausgedrückt hatte, und setzte noch einmal neu an.
»Es geht
um einen Job«, sagte er schroff. »Das Geld wird im Voraus gezahlt. Wenn ihr
Jungs genug Mumm habt.«
Ȇber
unseren Mumm machen Sie sich mal keine Sorgen, Mister.«
Sie
verstanden sich glänzend.
Während
der nächsten ein, zwei Stunden trafen sie ihre Verabredungen. Die Jungen im
Raum entspannten sich, fanden sich zu Gruppen zusammen, spielten Karten,
erzählten Witze und Geschichten, wetteten, wer die meisten Liegestütze
schaffte, und maßen sich im Armdrücken. Es dauerte nicht lange, und Pavel wurde
eine zweite Schüssel Suppe angeboten, schließlich war Weihnachten, und dazu ein
Schluck Kornbrand aus einem Steingutkrug. Der erste der Dienste, für die er
zahlte, zunächst noch auf Pump, war, dass sie ihm erzählten, was sie über
Söldmann wussten, den Zwerg, der in den Rücken gestochen worden war. Paulchen
kratzte das Wenige zusammen, das er über den Mann gehört hatte, und machte
daraus eine Geschichte: großsprecherische Wahrheiten aus bloßen Gerüchten,
eine Charakterstudie aus reinem Pissoirgerede. Seine Bande versammelte sich lauschend
zu seinen Füßen, tat sich mit nicht weniger Appetit an seinen Worten gütlich
wie die Katzen in einer anderen gut erzählten Geschichte am Blut eines toten
Mannes. Auch Paulchen war ein guter Erzähler. Während er ihm zuhörte, trat
Pavel wieder vor Augen, wie sie den Toten gewaschen hatten, Sonja und er, um
ihn anschließend oben in der dunkelsten Ecke des Dachbodens zu verstecken. Im
Nachhinein kam es ihm so vor, als müsse er sie da schon geliebt haben.
Aber das geht so nicht, dass uns
der Junge hier Söldmanns Geschichte erzählt. Nicht, dass Paulchen nicht
gewitzt gewesen wäre oder dass er ein Blatt vor den Mund genommen hätte, ganz
im Gegenteil. Sein Horizont war jedoch begrenzt, durch sein junges Alter und
seinen Mangel an Bildung. Er erzählte als bloße Biographie, was tatsächlich
doch ein Lehrstück der Geschichte war. Wobei Paulchen auch nicht unbedingt als
unvoreingenommen gelten konnte, nicht mit der Karte von Großdeutschland an der
Wand und dieser Schachtel voller Nazi-Insignien. Da hören Sie besser mir zu,
schließlich habe ich Sie doch schon durch die halbe Geschichte geführt, ohne
größeres Stolpern. Im Übrigen bin ich weit besser informiert als Paulchen,
hatte ich doch schon Monate vorher den Auftrag bekommen, Söldmann auszuspionieren,
als der Colonel sich für seine Geschäfte zu interessieren begann. Ein paar
geschickte Fragen an ehemalige Weggefährten und Nachbarn, einige gut platzierte
Proviantpakete und hier und da die Drohung, eine Untersuchung anzustrengen, und
schon begannen sich die Grundzüge eines Lebens abzuzeichnen, sicher nur in
groben Zügen, aber dennoch nicht ohne eine gewisse Suggestivkraft. Natürlich
wusste niemand etwas Genaues. Söldmanns Geschichte war eine Kriegsgeschichte,
verstümmelt, verzerrt und verfälscht. Die Ereignisse wurden erst Richtung
Kriegsende klarer, als er zu einem Gauner und Hehler wurde, der vor allem mit
gestohlenen Informationen handelte und nebenher noch ein paar Narkotika
verschob.
Einigkeit herrscht darin, dass Ernst Rainer Söldmann am
Vorabend des Krieges geboren wurde, dem vorletzten, der sich tief in die
Schützengräben grub. Seine Mutter war die ehrenhafte Gattin eines
Gemüsehändlers irgendwo am Rande der schönen Stadt Dresden, bevor diese in
Schutt, Asche und glasige Pfützen geschmolzenen Sandes verwandelt wurde. Es gab
keine erbliche Belastung in der Familie, aber ein Zirkus mit dem unwahrscheinlichen
Namen Rancini soll Monate vor der Niederkunft der Gemüsehändlersgattin durch
die Gegend gezogen sein, so dass es natürlich Gerede gab, als sich
herausstellte, dass der kleine Ernst ein Zwerg und sein Haar weit dunkler war
als die kastanienbraunen Locken des Herrn Gemahls. Über Ernsts Kindheit ist
wenig bekannt, ob er zum Beispiel eine Lehre machte, und wenn ja, bei wem. Man
kann sich vorstellen, dass die vielen Demütigungen der Schulzeit und eine
Pubertät ohne alle Aussichten ihre Spuren in der Seele des Jungen
hinterließen. Auf jeden Fall verließ er im zarten Alter von siebzehn Jahren das
elterliche Heim, einen Rucksack über der Schulter und den Abdruck eines mütterlichen
Kusses auf der
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