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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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gewusst, ob er schon einmal gefoltert worden war.
     
    Als das Päckchen leer war,
richtete ich mich mit großem Getue auf und streckte die Beine. »Ich gehe nach
oben und hole uns etwas Kaffee«, sagte ich. »Wie trinken Sie ihn?« Aber Pavel
hatte sich noch nicht entschieden, ob er mit mir reden würde oder nicht.
     
    Gegen Mittag brachte ich ihm ein
Stück Truthahnbrust und eine Portion Kartoffelsalat. Auf dem Tablett standen
zwei Teller mit Löffeln und Servietten, dazu zwei Stücke Zitronenkuchen. Pavel
aß vorsichtig, kaute jeden Bissen mit übertriebener Sorgfalt. Vielleicht
fürchtete er, dass ich ihn vergiften wollte. Nach dem Dessert öffnete ich ein
neues Päckchen Zigaretten, noch bevor ich Pavels schmutzigen Teller gegen einen
Toiletteneimer aus Blech eintauschte.
    »Sagen Sie
mir, wenn Sie ihn benutzen wollen, dann kann ich Sie allein lassen«, erklärte
ich ihm, aber er starrte mich nur mit seinen nassen Kohlenaugen an. Der Eimer
war mit Lauge ausgeschrubbt worden und verströmte einen ganz eigenen, durchdringenden
Geruch, der, wenn man ihn erst einmal in der Nase hatte, alle anderen Gerüche
des Kellers überlagerte und einem die Sinne vernebelte. Wir saßen in seinem
Gestank und wechselten Blicke. Pavel wartete geduldig darauf, dass ich ihm die
erste Frage stellte. Ich holte mein Schachbrett aus der Ecke und spielte eine
Serie gegen mich selbst, setzte Türme auf Läufer an und hetzte Bauern auf den
König. Stunden vergingen, dann wechselte ich zu Dame.
    Und er
wartete immer noch, wartete auf meine erste Frage. Aber ich hatte noch keine
für ihn.
     
    Die Warterei zehrte an ihm. Muss
es getan haben, das war nur natürlich. Auf seinem Gesicht zeigte sich jedoch
wenig davon. Er beobachtete mich den ganzen Nachmittag über und versuchte mich
einzuschätzen: diesen mittelalten Mann mit Nikotinflecken im Bart. Knochigen,
schweren Händen, vom Leben gezeichnet. Die Stirn onkelhaft, und der krumme Rücken.
Das saubere weiße Hemd, das frische Taschentuch, die Augenklappe aus Wildleder.
Die schweren Winterstiefel, die bereits einiges hinter sich hatten. Ich frage
mich, was das zuammengenommen für ihn besagte. Nicht viel, wette ich. Ich war
der Handlanger des Colonels, ein Schuft zweiter Garnitur, wenn mir die
Augenklappe auch ein bisschen Pfiff verlieh. Sein Blick wanderte immer wieder
zu meinen Stiefeln. Er mag sich gefragt haben, ob ich sie dazu benutzen
würde, ihm die Schienbeine zu brechen.
     
    Nach dem Abendessen gab er nach.
Das Schweigen muss unerträglich gewesen sein. »Los doch«, sagte er und stieß
sein ungegessenes Sandwich zurück auf den Teller. »Ziehen Sie Ihre Handschuhe
an und bringen Sie es hinter sich.« Seine Stimme, dachte
ich, war bemerkenswert kontrolliert.
    Ich stand
auf, schlenderte hinüber zu seiner Zelle und formulierte dabei meine erste
Frage.
    »Sind Sie
verheiratet?«, fragte ich ihn. »Mir ist der Ring aufgefallen.«
    »Und?«
    »Und? Ist sie hübsch?«
    »Sie wollen wissen, ob meine Frau hübsch
ist?«
    »Ja.«
    Er lächelte, ein bitteres, kleines
Lächeln, und schüttelte den Kopf. Als ich ihn eine Stunde später verließ,
rauchte er wieder und drehte seinen Ehering um den abgemagerten Finger.
     
    So war er, unser erster Tag unten
im Keller: ein Tag des Schweigens. Zwei Männer, die ihre Zigaretten pafften,
und eine einzige, unangemessene Frage am Abend, die auf widerspenstige Ohren
stieß. Die Wahrheit ist, dass ich kaum so sehr Herr der Lage war, wie ich
vorgab, und auch nicht so ruhig und zufrieden mit meiner Rolle als
schweigender Beobachter. Es war ein Tag voller Überraschungen gewesen. Ich war
früh am Morgen aufgestanden und hatte mich mit außergewöhnlicher Sorgfalt
angekleidet. Die stickige Luft meiner Wohnung war gesättigt mit den Gerüchen meines
Wäschekorbs und denen meiner Verdauung. Womöglich hätte ich trotz der Kälte ein
Fenster geöffnet, aber es war zugefroren und die Scheibe innen dick vereist.
Frühstück musste ich mir nicht machen, ich würde meinen Kaffee beim Colonel
trinken, aber wie jeden Morgen nahm ich mir die Zeit, einen frischen Kragen und
ein Taschentuch zu bügeln, da ich mich lange schon dem Glauben hingab, dass man
die Natur eines Mannes an der Frische seiner Bügelfalten erkennen konnte (ein
törichter Gedanke, kein Zweifel, aber einer, der mir mit bemerkenswerter
Sturheit erhalten blieb). Es war noch nicht sechs, als ich heißes Wasser über
meine Autoscheiben goss, und noch keine halb sieben, als ich mit meinem
eigenen

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