Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
Vom Netzwerk:
Schlüsselsatz die Tür zum Haus des Colonels öffnete. Die Fahrt war
ereignislos verlaufen, nur an einer Kreuzung hatte ich das unheimliche Heulen
von Wölfen hören können, die sich nach ihrem nächtlichen Stadtausflug in die
Wälder zurückzogen.
    Ich kam in
der Villa an und meldete mich mit gewohntem Schwung zur Arbeit, aber der
Colonel verscheuchte mich mit einer Handbewegung und bedeutete mir, außer
Hörweite zu warten. Er war am Telefon und führte ein knappes Gespräch voller
herausgebellter Silbenfetzen, eine seiner Hängebacken war noch mit Rasierschaum
bedeckt. Später, als er mich untätig auf dem Wohnzimmersofa vorfand, ignorierte
er das kleine Geschenk, das ich für ihn vorbereitet hatte, und wies mich mit
nüchterneren Worten als gewöhnlich an, auf Pavel zunächst keine Form
physischen Zwangs auszuüben. Ich war mir der Absurdität seiner Bitte natürlich
bewusst, äußerte aber keinen Widerspruch. Als ich gegen Mittag in die Küche kam
und sah, dass der Colonel nicht mit an der Weihnachtstafel mit dem halb
aufgeschnittenen Truthahn und der Feiertagsdekoration saß, klärte mich seine
Frau darüber auf, dass er gerade in seinem Arbeitszimmer einen russischen
Offizier empfange, vorgeblich zum Austausch von Geschenken. Später dann verließ
der Colonel das Haus in Galauniform und mit frisch geputzten Stiefeln. Ich sah
ihn durchs Fenster des Bedienstetenbads wegfahren, wo ich eine längere Toilettenpause
einlegte, verursacht durch meine aufsässige Prostata. Als ich um halb sieben
Feierabend machte, war er noch nicht zurück. Seine Kinder saßen spielend unter
dem Weihnachtsbaum, ohne etwas von ihrem Vater zu haben, und Mrs Fosko sah gelangweilt
die Plattensammlung ihres Mannes durch. Ich für meinen Teil war den ganzen Tag
ohne wirklichen Auftrag gewesen und hatte mit einem Gefangenen zu tun, den ich
nicht anrühren durfte.
    All das
hätte mich nicht derartig wortkarg werden lassen, bin ich doch von Natur aus
ein eher gesprächiger Mensch, aber der Colonel hatte eindeutig klargemacht,
dass er Antworten von Pavel Richter erwarte. Als ich höflich nachgefragt
hatte, wie er sich das denn vorstelle, sagte er nur, Pavel sei »schwer
getroffen vom Verlust des Jungen. Versorgen Sie ihn mit Zigaretten, und er wird
von ganz allein anfangen zu reden.« Es war meines Erachtens nicht der rechte
Moment, Fosko darüber aufzuklären, dass wir das falsche Kind aufgehängt hatten.
    Also ging
ich hinunter zu ihm in den Keller und stand eine Ewigkeit vor seinem Käfig,
drückte mein Gesicht ans Gitter, sah auf ihn hinab und las ihm seinen Traum von
den Lidern. Er schlief wie ein Kleinkind, das Gesicht auf den Boden gedrückt,
die Hände zu Fäusten geballt und das Haar ganz schlaff vom höllischen Klima
des Kellers. Dennoch war er ein gut aussehender Mann, eine hohläugige
Schönheit, die gleichzeitig weich und maskulin wirkte. Abgehärmt. Ich war versucht,
ihn zu berühren und zu ermutigen, die Bequemlichkeit der Matratze zu beanspruchen,
die er entweder verlassen oder von Beginn an abgelehnt hatte. Am Ende zog ich
meine Hand zurück, nachdem ich schon halb durch die Gitterstäbe gelangt hatte.
Es war nicht die Zeit für eine erste Berührung. Stattdessen drückte ich den
Rücken durch und tastete nach den Zigaretten in meiner Tasche.
    Die Hitze
des Kellers trieb mich bald schon aus meinem Mantel. Es konnte kein anderes
Haus in Berlin geben, das so gut geheizt war wie das des Colonels, keinen
Keller, der so angefüllt war mit der aufgestauten Wut eines Ofens. Durch die
ausgedörrte Wand zog sich ein Spinnennetz aus Rissen, vom Boden bis zur Decke,
mit Ausnahme einer Ecke, wo eine undichte Leitung einen nassen Fleck auf den
Putz blutete. Es war ein merkwürdiger Umstand unserer Arbeit in diesem Winter,
dass die armen Seelen, die wir zum Verhör oder zur Einschüchterung hinab in
diesen Keller verfrachteten, während der ersten Minuten und Stunden die
quälende Freude empfanden, wundersamerweise endlich wieder Wärme zu spüren. Es
war ihr Fleisch, das sie verriet: Nach Wochen des Sichzusammenkauerns blühte es
auf, um Schlagstock, Faust oder Messer mit einem geradezu schwachsinnigen
Wohlgefühl zu begegnen. Schnell jedoch, da bestand kein Zweifel, begannen die
Gäste des Colonels die Hitze zu verabscheuen, den massigen Schatten des
gusseisernen Ofens, den Geruch ausgetrockneter Ziegel, und sich nach der
sterilen Winterkälte draußen zurückzusehnen.
    Mir
jedenfalls lief der Schweiß über Stirn und Unterarme, aber ich

Weitere Kostenlose Bücher