Vyleta, Dan
wollte mein
frisch gebügeltes Taschentuch noch nicht beschmutzen, und so wischte ich mir
die Stirn mit dem Ärmel des Mantels trocken. Immer noch wachte Pavel Richter
nicht auf. Ich ging zurück in die Hocke und versuchte, in seinen Zügen zu
lesen. Es war mir ein Rätsel, wie ich ihn zum Reden bringen könnte. Ich wusste
ja nicht einmal, womit ich unser Gespräch beginnen sollte.
Am Ende tat ich es nicht. Unser
Gespräch beginnen. Den ganzen ersten Tag nicht. Es gab keine Drohung, die ich
wahrmachen konnte, und ich war mir nicht einmal sicher, ob mir Dinge erlaubt
waren, die wenig oder keine Spuren auf seinem Körper hinterlassen würden. Dazu
kam, dass mich sein Gesicht und diese dunklen, tränenfeuchten Augen entnervten,
die hart wie nasser Granit leuchteten. Zum Ende des Nachmittags begann ich mich
auf seinen Ehering zu konzentrieren. Pavel schien mir nicht der Mann, der seine
Frau betrog (obwohl es im Krieg doch alle Männer taten, die Angst vor dem Tod
als Entschuldigung benutzend). Es wurde die einzige Frage, die ich tatsächlich
zu formulieren vermochte. Was er von seiner Frau dachte. Dabei stellte ich mich
nicht sonderlich geschickt an, und er jagte mich zum Teufel. Ich hatte gehofft,
er wäre höflich genug, um mir zu antworten. Aber die Umstände waren auch
ungewöhnlich, mit dem toten Jungen zwischen uns und einer Geliebten, die mit
dem Feind schlief. Auf jeden Fall setzte ich während meines Nachhausewegs an
diesem Abend meine ganze Hoffnung darauf, dass der Colonel mir bald schon freie
Hand ließe. Nicht, dass ich ein besonderes Verlangen danach verspürte, Pavel
wehzutun, aber wir mussten ihn zum Reden bringen, und ich wurde immer
neugieriger und wollte mehr über unseren ruhigen, geduldigen Freund erfahren.
Am nächsten Morgen stand ich um
halb sechs auf und absolvierte meine morgendlichen Rituale. Dann: eine hastige
Fahrt mit abgefahrenen, schlitternden Reifen über schneebedeckte Straßen. Als
ich die Küche der Villa betrat, überraschte ich die in einen seidenen Morgenmantel
mit orientalischem Muster gekleidete Frau des Colonels, die ein
Familienfrühstück bereitete. Sie zuckte zusammen und ließ ein Buttermesser
fallen, fasste sich aber gleich wieder und hob es auf. Ihr Ausschnitt öffnete
sich bei der Bewegung, und ich war höflich genug, den Blick abzuwenden.
»Tut mir
sehr leid, hier so hereingeschneit zu kommen. Ich nehme an, der Colonel ist
oben?« Sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Er
rief gestern Abend spät an und trug mir auf, Ihnen zu sagen, dass er nach
London fliegen musste. Und das hier soll ich Ihnen geben.«
Sie
wischte sich die Hände an ihrem Morgenmantel ab, nahm einen Umschlag vom
Brotkasten und reichte ihn mir mit spitzen Fingern. Ich nahm den Brief, und wir
tauschten einen verstehenden Blick. Sie war vor zwei Tagen hergeflogen, um mit
ihrem Mann Weihnachten zu feiern, und jetzt saß sie ohne ihn hier und betätigte
sich als sein Botenjunge.
»Kann ich
etwas für Sie tun?«
»Ich danke
Ihnen, nein. Mein Mann sagt, der Chauffeur wird uns besorgen, was immer wir brauchen.«
Ich
nickte, bedeutete ihr damit mein Einverständnis mit den getroffenen
Arrangements und ließ mir eine Tasse Kaffee von ihr einschenken.
»Wenn ich
es recht verstehe, haben Sie unten im Keller zu tun?«
»Ja.«
»Wenn Sie
mögen, können Sie gerne mit mir und den Kindern zu Mittag essen.«
»Ich danke
Ihnen sehr, aber ich fürchte, ich werde mein Essen unten einnehmen müssen.«
»Wie Sie
wünschen.«
Ich fragte
mich, ob sie von Natur aus so kühl war oder ob sie sich darum bemühen musste.
Für beides ließen sich Argumente anführen.
Ich trug
meinen Kaffee hinüber ins Wohnzimmer und las die Notiz, die der Colonel für
mich hinterlassen hatte. Sie enthielt wenig, was über das von Mrs Fosko bereits
Gesagte hinausging. Er sei zur Berichterstattung nach London geflogen, und ich
solle wie abgesprochen fortfahren. Seine Frau dürfe das Haus nicht verlassen.
Er komme so bald wie möglich zurück. Freundliche Grüße und so weiter.
Der Brief
schien die in mir aufkeimende Theorie zu bestätigen, dass die »privaten«
Aktivitäten des Colonels anfingen, die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten zu
wecken. Er könnte erheblich unter Druck geraten, die Dinge »beizulegen«. Wenn
dem so war, würde er ganz sicher nicht wollen, dass man die misshandelte Leiche
eines US-Bürgers in seinem Keller fand, zusammen mit einer Chirurgenschüssel
voller Zehennägel und Eingeweide. So saß ich mit einem
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