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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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Gedanken an Sonja und auf den Lippen die Worte, die er
ihr hatte sagen wollen, aber nie gesagt hatte.
     
    Als ich an diesem Morgen zu ihm
kam, fand ich Pavel auf Händen und Knien vor. In der Hitze des Kellers hatte
sich ein Trupp Kakerlaken entschieden, den Gesetzen der Jahreszeiten zu trotzen
und sich nicht weiter darum zu scheren, welche Form der Überwinterung ihrer
Spezies eigentlich zugedacht war. Pavel hockte voller Freude über ihnen und
verfolgte, wie sie von Schatten zu Schatten huschten und die Krümel seines
Abendessens verspeisten.
    »Leben«,
sagte er mit Häme in der Stimme, »hier unten in Ihrer Folterkammer gibt es
Leben.«
    Der
Anblick seiner dunklen, feuchten Augen, die aus dem Käfig zu mir her
leuchteten, während um ihn herum Insekten über den Betonboden huschten,
verstörte mich so, dass ich alle Fragen vergaß, die ich mir seit meinem
Aufstehen im Kopf zurechtgelegt hatte. Ich entschuldigte mich gleich wieder
und ging nach oben, um Kaffee zu machen. Die Frau des Colonels war da, in ihrem
Morgenmantel. Sie habe keine neuen Nachrichten vom Colonel, und ob sie mir ein
paar Brötchen mit Butter bestreichen solle? Wir redeten über das Wetter, die
Nürnberger Prozesse und Deutschlands Selbstmitleid. Eine halbe Stunde später
war ich wieder unten im Keller bei Pavel.
    »Erzählen
Sie mir mehr von Ihrer Frau«, sagte ich.
    Er kehrte
mir den Rücken zu und starrte die Kakerlaken an.
     
    Während des restlichen Morgens
sagten wir kaum noch etwas. Ich war müde und fühlte mich unbehaglich und enttäuscht.
Jetzt saßen wir schon den dritten Tag hier unten im Keller, und ich war der
Information, die der Colonel von mir erwartete, keinen Deut näher gekommen.
Gleichzeitig wurde mir meine wachsende Neugier bewusst. Ich hatte hier unten
schon rund einem halben Dutzend Lebensgeschichten gelauscht und sie sorgsam
aufgezeichnet. Jetzt wollte ich auch Pavels kennen lernen, bis hin zu seinen
privaten Gewohnheiten und Wünschen. Sie wären überrascht, was Männer unter
Zwang einem alles erzählen. Ich zermarterte mir das Hirn über etwas, womit ich
ihm Schmerzen bereiten konnte, aber mir wollten einfach keine Worte einfallen,
die in ihrer Wirkung ein paar guten altmodischen Schlägen gleichgekommen wären.
Bis ich auf den Krieg zu sprechen kam.
    »Wo haben
Sie gedient?«, fragte ich.
    »Was?«
    »Im Krieg.
Wo haben Sie gedient?«
    Ich
wartete, bis er sich entschied, ob er mir nun antworten wollte oder nicht.
    »Bei der
Invasion in der Normandie. Frankreich, dann nach Holland, Richtung Osten.«
    »Haben Sie
dabei Krauts umgebracht, mein Freund?«
    »Krauts«,
sagte er, »das Wort hat mir nie gefallen.«
    Ich
wiederholte meine Frage: »Haben Sie welche umgebracht?«
    »Was
interessiert Sie das?«
    »Na sieh
mal an, wer sich hier vor der Verantwortung drückt.«
    Er verzog
den Mund und wollte nichts mehr sagen, aber ich konnte sehen, dass ich einen
Nerv getroffen hatte. Blut schoss ihm ins Gesicht, und seine Hände ballten sich
zu Fäusten. Jetzt musste ich nur noch herausfinden, was genau ihn an meiner
Frage so aus der Fassung gebracht hatte.
     
    Es war mein ausschweifendes
Gerede, das ihn letztendlich weich klopfte. Durch und durch gelangweilt wegen
meiner Beschränkung auf die immer gleichen wortkargen Fragen, begann ich mit
einer Beschreibung meiner eigenen Dienstzeit, erzählte Anekdoten, skizzierte
Kameraden und schwatzte über das Kriegshandwerk. Ich weiß, in der Verhörschule
lernt man etwas ganz anderes, aber ich muss instinktiv das Gefühl gehabt haben,
dass Pavel ein spezieller Fall war, dem mit gewöhnlichen Tricks wie
Essensentzug und grellem Licht nicht beizukommen war.
    Gerne gebe ich zu, wie gut es tat,
alle besonnene Zurückhaltung aufzugeben. Wobei ich ihn natürlich auch weiter
sorgfältig beobachtete und nach Ansätzen Ausschau hielt, ihn aus seiner Passivität
herauszuholen und ihn dazu zu bringen, sich selbst zu verraten.
    Während
meines gesamten Vortrags saß er mit dem Rücken gegen die Gitterstäbe gelehnt,
verfolgte die Kakerlaken und warf mir hin und wieder einen Blick zu, wenn ich
etwas zu dick auftrug. Schließlich, wir hatten gerade unser Mittagessen
beendet, hielt ich inne, stand von meinem Stuhl auf und trat näher an ihn
heran.
    »Aber das
alles scheint Sie nicht sonderlich zu interessieren, Mr Richter. Offenbar sind
Sie nicht der Mann für den Krieg. Er geht Ihnen gegen die Natur. Sie sind einer
von diesen feinfühligen Charakteren, die es vorziehen, die

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