Vyleta, Dan
stummen Gefangenen da
und keinerlei Druckmitteln, ihn zum Reden zu bringen. Es ging also darum,
seinen Willen zu brechen. Ich musste ihn in jene besondere Mischung aus
Isolation und Selbstzweifel versetzen, die in Inhaftierten aufkeimt und sie
sich vor ihren Wärtern schuldig fühlen lässt. Wie sehr ich mich auch abmühte,
das Einzige, was mir immer wieder in den Kopf kam, war die Frage nach seiner
Frau.
»Nur einen Namen, Mr Richter,
sonst will ich doch nichts. Einen Namen. Er ist völlig nutzlos für mich.
Erfinden Sie einen, wenn Sie wollen.«
»Charlotte.«
»Sehr gut, Charlotte. Ein schöner
Name. Ist sie hübsch?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Ach,
kommen Sie schon. Nur um unseres Gesprächs willen. Da steckt nichts dahinter.
Sie müssen nur ja sagen.«
Aber er
starrte mich nur an, mit diesem ausgezehrten, geduldigen Gesicht, und ließ
mich warten. Sein Blick wandte sich wieder meinen Stiefeln zu. Ich wünschte,
es gäbe einen Weg, seinen Argwohn mir gegenüber auszuräumen.
»Haben Sie
Angst, Mr Richter?«, fragte ich ihn nach einigem Nachdenken.
Er
schnaufte, nahm einen Zug von seiner Zigarette und blies den Rauch vor sich
hin.
»Ich habe
Boyds Leiche gesehen«, sagte er. »Ich habe gesehen, was Sie mit ihm gemacht
haben. Das waren Sie doch, oder?«
Ich tat seine Frage mit einer
Handbewegung ab.
»Die
Hälfte von dem, was Sie gesehen haben, wurde ihm hinterher zugefügt. Der
Colonel gab den Befehl, es wild aussehen zu lassen. >Machen Sie, dass es
nach den Russen aussieht<, hat er uns erklärt. Unsere Jungs hatten aber noch
nie eine NKWD-Leiche gesehen, also mussten sie improvisieren.«
Pavel
nickte, aber ich konnte sehen, dass er nicht zugehört hatte.
»Sie waren
es«, wiederholte er. »Geben Sie es schon zu.«
»Wir
wollen Ihnen nicht wehtun, Pavel«, erklärte ich ihm. »Sie müssen nur reden.«
»Sie sind
ein Feigling«, keifte er mich an und bohrte seine Zigarette in den Boden.
Seine Stimme war dabei nicht lauter, als hätte er einen Ober nach der Rechnung
gefragt.
Ich gab nicht nach. Stellte ihm immer wieder die gleiche
Frage. Den ganzen Morgen, Zigarette um Zigarette. »Ist sie hübsch?«, fragte
ich.
Er machte
ein finsteres Gesicht und sagte mir, ich solle ihn »in Ruhe lassen«.
Ich muss
ihn bis mittags sicher hundertmal gefragt haben. Nach dem Essen fragte ich
wieder hundertmal. Irgendwann nachmittags hatte ich ihn schließlich so weit,
dass er antwortete.
»Ist sie hübsch?«, fragte ich.
»Charlotte, meine ich. Ihre Frau.«
»Was stört Sie das?«
»Ich frage nur. Ist sie hübsch?«
Er zuckte
mit den Schultern, die Stirn schweißverklebt. »Ja. Das ist sie.«
»Ich wusste es. Wie sieht sie aus?«
»Lassen Sie mich in Ruhe.«
»Ich frage
doch nur, wie sie aussieht? Das sollte nicht so schwer zu beantworten sein.«
»Klein, schlank, blond. Reicht
das?«
»Es ist
nicht sehr poetisch, aber - ja. Ich habe eine lebhafte Fantasie. Vermissen Sie
sie?«
»Lassen
Sie mich in Ruhe.«
»Ich
versuche doch nur, es zu kapieren, Mr Richter. Sie werden entlassen, und zu
Hause wartet eine hübsche Frau auf Sie. Es gibt keinen irdischen Grund, warum
Sie nicht bei ihr sein sollten. Und doch sind Sie hier.«
Da ließ er
den Kopf hängen, machte die Schultern rund, und seine dunklen Augen wandten
sich nach innen, tief in sich hinein.
»Das fragt
man sich doch, oder? Was zum Teufel machen Sie hier?«
Mehr bekam ich an diesem Tag nicht
aus ihm heraus. Ich versuchte es natürlich weiter, ein Dutzend Mal, zielte auf
seine, wie ich dachte, schwachen Punkte. Die Entfremdung von seiner Frau. Sein
Verlangen nach der Hure des Colonels. Seine Verschwiegenheit, was das
Geheimnis des Zwergs anging, und den Schmerz, den seine Widerspenstigkeit
ausgelöst hatte. Seltsamerweise konnte ich sehen, dass ihn meine
Anschuldigungen betroffen machten: Er wurde rot, aus Zorn, Scham oder weil er
sich schuldig fühlte. Nicht einen Vorwurf versuchte er zurückzuweisen, sondern
hörte mir sogar mit einer gewissen Art von Gier zu, und doch schien alles, was
ich sagte, seine Weigerung, zu kooperieren, nur noch zu vertiefen.
Gelegentlich setzte er auch zu einer Gegenattacke an und verlangte mit ruhiger
Stimme, ich solle mich dazu bekennen, Boyds Folterer und der Mörder des Jungen
zu sein und damit »zu meiner Verantwortung stehen«. Nicht ein einziges Mal hob
er die Stimme und war immer ausnehmend höflich, wenn es darum ging, mir für
Essen, Kaffee und Wasser zu danken, womit ich ihn
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