Wach auf, wenn du dich traust

geholt und dafür gesorgt, dass genügend Eltern kommen, um alle abzuholen.
    Und sie hat sofort die Idee mit der Liste gehabt.
    Beate meinte, wir müssten doch erst mal warten, was die Ärzte sagen, und überhaupt sei das jetzt keine Sache von Jugendlichen mehr. Da ist Luzia völlig ausgerastet und hat Beate angeschrien, dass sie nicht so einen Scheiß verzapfen soll. Wahnsinn! Die war ja echt so still die ganze Zeit. Aber da ist irgendwas passiert mit ihr in der Nacht.
    Es ist mit uns allen was passiert, glaub ich.
    Debbie war die Erste, die zu Hause angerufen hat. Ich frag mich echt, was du an der findest. Auf die Liste, die wir geschrieben haben, sollte sie ja ganz oben stehen. Eigentlich war es mehr ein Gekrakel auf einem Schmierzettel als eine Liste, aber egal. Luzia sagte: Du bist doch ihre beste Freundin. Du solltest zuerst mit ihr sprechen.
    Weißt du, was Debbie gesagt hat? Rumgeheult hat sie und gejammert, sie sei so fertig und am Ende und was weiß ich. Da bin ich gegangen. Hab mein Zeug geschnappt und bin los. Bin getrampt, bis vors Krankenhaus.
    Auf die Liste habe ich mich nicht geschrieben. Eine halbe Stunde mit dir reden und dann wieder gehen? Ist doch voll daneben. Glauben die allen Ernstes, ich gehe nach der halben Stunde dann einfach wieder nach Hause?
    Nein, ich gehe höchstens mal raus, um eine zu rauchen. Fertig. Ehe ich nach Hause gehe, übernachte ich lieber irgendwo im Krankenhauspark. Das ist ungefähr genauso gemütlich wie bei mir zu Hause.
    Weißt du, ich war vorher schon mal hier. Hatte angefangen, mit dir zu reden. Aber dann kam Debbie. Ich hatte absolut keinen Bock, ihr zu begegnen. Wer weiß, vielleicht hätte ich ihr die Fresse poliert, ihre weinerliche Fresse, wenn es nicht anders gekommen wäre.
    Hab mich schnell hinter dem Vorhang versteckt.
    Und dann fing Debbie an rumzujammern, dass sie sich zwischen Silvio und dir entscheiden musste.
    Da hab ich’s ja kaum ausgehalten hinter dem Vorhang!
    Im Jungszelt hat ihr feiner Silvio allen erzählt, dass die Dicken am besten im Bett sind, wusstest du das? Die dachte tatsächlich, der hätte sich für sie interessiert. Wie blöd kann man eigentlich sein? Silvio interessierte sich für genau eine einzige Sache auf der Welt: Silvio.
    Da hab ich zum ersten Mal gedacht, dass es eigentlich unfair ist, dass du gar nicht hörst, was die Leute da reden. Wenn du aufwachst, würdest du vielleicht denken, alle seien besorgt um dich gewesen. Vielleicht würdest du sogar die Liste sehen und wärst gerührt, dass Debbie die Erste war, die bei dir gewesen ist. Noch vor deinen Eltern, die ja erst aus ihrem Urlaub kommen mussten.
    Und wenn du aufwachst und gar nicht mehr weißt, was passiert ist? So was kommt doch vor! Dann können dir alle erzählen, wie besorgt sie gewesen wären, und du müsstest es glauben.
    Das würde ich nicht ertragen.
    Ich habe Miriam gesagt, dass ich dir alles erzählen will, also mache ich das jetzt auch. Wenn du wach wärst, wenn du mich anschauen würdest, dann würde ich das niemals bringen.
    Ich habe überhaupt noch nie mit jemandem darüber gesprochen.
    Aber du hast meinen Namen so gesagt wie sie. So, wie es seitdem niemand mehr getan hat. Und jetzt gucke ich mich um und denke mir: Wow, das ist also diese beschissene Welt. Als sei ich aufgewacht aus irgendeinem langen Traum oder so. Und ich weiß beim besten Willen nicht, ob ich dir dafür dankbar sein soll.
    Sich so lebendig zu fühlen, tut verdammt weh.
    Nur meine Mutter hat meinen Namen je so ausgesprochen. Ich habe meine Mutter umgebracht, wusstest du das?
    Das klingt vielleicht komisch, weil sie Krebs hatte, und dafür kann ja wirklich keiner was.
    Aber Markus hat gesagt, dass man das nicht so einfach kriegt. Krebs kriegt man nicht. Man macht ihn. Oder kriegt ihn gemacht. Und ich hab ihn meiner Mutter gemacht. Weil ich immer so schwierig war, so anstrengend. Dadurch hab ich sie krank gemacht.
    Du würdest vielleicht sagen, dass das Schwachsinn ist. Aber vielleicht hat Markus recht. Vielleicht hätte ich anders sein sollen, dann wäre ihr das nicht passiert.
    Zwei Stunden hat er auf mich eingeredet im Wald. Dass ich dafür sorgen muss, dass so was in meinem Leben nicht wieder vorkommt. Dass es nicht immer nur um mich gehen kann.
    Und dann kamst du mit deiner Gruppe zur Thingstätte und hast mich gefragt, was mit mir los sei. Ob alles in Ordnung sei!
    Wenn du stirbst, dann sage ich, dass ich es war. Egal, was die anderen behaupten. Man wird mir glauben, wenn ich so was