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Wach auf, wenn du dich traust

Wach auf, wenn du dich traust

Titel: Wach auf, wenn du dich traust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Mohr
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ließ sich auf den Stuhl fallen und stand dann sofort wieder auf.
    »Ich… kann jetzt nicht sitzen«, sagte er.
    »Geht mir auch meistens so.« Miriam lachte. »Wenn man mit einem Fuß immer auf der Flucht oder wie ich im Einsatz ist, fällt einem das Stillsitzen schwer.«
    Finn spielte an seinem Handy herum.
    »Ich wollte der Erste sein, der mit ihr spricht«, begann er. »Vor allen anderen. Aber Debbie kam zu früh. Ich kann sie nicht besonders leiden, deshalb wollte ich schnell weg. Aber es war schon zu spät. Und da war der Vorhang.« Er erwartete einen Ausruf des Erstaunens oder wenigstens der Missbilligung, doch Miriam sah ihn einfach weiterhin nur aufmerksam an. Einen Moment lang war er völlig irritiert und starrte auf sein Handy.
    »Was hast du denn da drauf?«, fragte sie und deutete auf das Telefon in seinen Händen. »Warst du die ganze Zeit hinterm Vorhang und hast die anderen damit aufgenommen?«
    Er nickte zögernd. »Woher weißt du das?«
    »Weißt du, vielleicht hätte ich das auch gemacht. Sie aufgenommen. All die Beichten.«
    Finn sah sie überrascht an.
    »Habt ihr eigentlich schon irgendjemandem erzählt, was wirklich passiert ist auf der Freizeit?«
    Finn schüttelte den Kopf und lachte auf. »Wem denn?«
    Miriam antwortete nicht.
    »Es war Markus«, flüsterte Finn.
    »Markus? Auf der Liste, die wir bekommen haben, steht sein Name nicht drauf.«
    Finn lachte auf. »Das wundert mich nicht«, sagte er. Dann verstummte er.
    »Hat dieser Markus sie so zugerichtet?«
    Zögernd nahm Finn den Arm mit dem Handy hoch und klickte sich durch das Menü. Die letzte Aufnahme, Frederik, erschien. Er biss sich auf die Unterlippe und klickte sie an. Frederiks Stimme drang aus dem Gerät.
    Als Frederiks Monolog unsanft geendet hatte, wagte Finn nicht, Miriam anzusehen.
    »Ihr braucht Hilfe«, sagte sie schließlich. »Das schafft ihr nicht alleine.«
    »Hilfe wobei«, sagte Finn. »Markus hat nichts getan, was verboten wäre. Solange Frederik nichts sagt, kann man ihm sowieso nichts anhaben. Und selbst wenn – er hat ja nicht verlangt, Jenny krankenhausreif zu prügeln.«
    Miriam knetete ihre Unterlippe zwischen zwei Fingern. »Ihr müsst etwas tun, du kannst das doch nicht aufnehmen und dann auf sich beruhen lassen. Dieser Markus kommt dann doch einfach so davon.«
    Finn lachte müde auf. »Du bist naiv«, sagte er. »So ist das Leben nun mal. Wer die Macht hat, sitzt am längeren Hebel. Damit kenne ich mich aus.«
    »Ist es das, was übrig bleiben soll?«, fragte Miriam. »Wer die Macht hat, sitzt am längeren Hebel? Dafür liegt Jenny jetzt im Koma? Willst du ihr das sagen, wenn sie aufwacht?«
    Finn antwortete nicht.
    »Und was willst du damit machen?« Sie deutete auf das Handy. »Es Jenny geben, wenn sie aufwacht? Soll wieder sie entscheiden? Soll wieder sie die Verantwortung übernehmen und euch sagen, was ihr tun sollt? Es klingt ja so, als hätte sie das auf eurer Freizeit auch schon gemacht. Und da soll sie wieder durch?«
    Finn schluckte. Darüber hatte er bisher nicht nachgedacht. Ja, er hatte Jenny die Aufnahmen geben wollen. Und sie hätte entscheiden sollen, was sie damit machen sollten. Scheiße, dachte er, ich hätte wieder ihr die Entscheidung abgetreten.
    »Finn«, sagte Miriam, »jetzt seid ihr dran. Jenny kann nichts mehr für euch tun.«
    Finn schüttelte den Kopf. »Nicht wir«, sagte er. »Ich.«
    Sie sahen sich an und Miriam nickte langsam.
    Finn blickte aus dem Fenster. »Eines verstehe ich nicht. Warum hat sie es getan? Immer und immer wieder? Warum hat sie nicht lockergelassen, wo wir alle schon längst aufgegeben hatten? Sind das die Gene oder was? Ich will das wirklich wissen.«
    »Wir haben alle etwas in uns«, sagte Miriam, »das weiß, was richtig oder falsch ist. Gut oder schlecht. Das muss uns niemand sagen. Es ist nicht ganz dasselbe wie das Gewissen. Gewissen kann auch dadurch entstehen, dass uns jemand sagt, was wir zu denken und zu tun haben. Man kann deshalb auch ein schlechtes Gewissen haben, wenn man etwas getan hat, das eigentlich nichts Böses ist, Sex vor der Ehe zum Beispiel.«
    Miriam drückte sich vom Tisch weg und ging an das kleine Fenster, das hinunter auf den Krankenhauspark zeigte.
    »Dieses innere Ding«, sagte sie, »ist wie ein klitzekleines Land in uns. Eine Insel. Die sagt einem, was richtig oder falsch ist, auch wenn alle anderen was anderes sagen. Ich glaube, der einzige Unterschied zwischen den Menschen ist, ob sie Zugang dazu haben oder

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