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Wach (German Edition)

Wach (German Edition)

Titel: Wach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albrecht Selge
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ab, er geht langsam, um nicht aus Versehen in eine Pfütze zu treten. Hier und da ziehen sich schon Trampelpfade quer durch den neuen Rasen. In der Zeitung wurde einmal von einem Campus in Amerika berichtet, wo nur Rasen ohne Wege verlegt wurde, weil die Planer abwarten wollten, welche Pfade durch die Fußgänger entstehen würden; August hat den Artikel damals Xerxes gezeigt, und der hat gesagt: Das, Herr Kreutzer, wäre etwas, ein Center als bloßer leerer Raum , in dem die Kunden Gänge und Geschäfte erst schaffen, indem sie sie aufsuchen  – denken Sie das! Plötzlich sieht August seinen Schatten, die Wolken haben den Mond freigegeben, August muss niesen und entdeckt auf einem Baum etwas, was ihn interessiert, doch schon ist das Mondlicht wieder weg. Er geht durchs Gras zu dem Baum und beleuchtet mit dem Handydisplay die Rinde, bis er den Umriss eines Herzens findet, in dem steht:
A+J
2003
    Die eingeritzte Liebeserklärung hat die Sanierung des Parks überdauert, ob auch die Liebe gehalten hat? Ohnehin vom Weg abgekommen, stapft er zu einem nahen Tümpel. Er nimmt sich einen Stock und stochert im Ufergebüsch, wonach, weiß er nicht, und zieht zwischen Gräsern eine unverrottete Tüte hervor, zerknittert und dunkel, er entziffert Medea-Markt . Da stellt er sich vor, der kleine schwarze Tümpel verberge eine gigantische, taghell erleuchtete Mall. Als der Mond wieder herauskommt, will er einen Blick auf den Grund des Gewässers werfen, aber es scheint undurchdringlich. Vergebens versucht er, im Tümpel sein Spiegelbild zu erkennen. Stattdessen bemerkt er am anderen Ufer etwas Regloses, ein ertrunkenes Kaninchen; dabei wird die Böschung dort drüben keine zehn Zentimeter hoch sein. Er wirft Plastiktüte und Stock ins Wasser.
    Der Weg zwischen Park und Straßenrand ist nass und frei von Pollen. August kommt an der Stelle vorbei, wo er vor einigen Monaten dem Polizeieinsatz zugesehen hat; die Absperrung ist längst aufgehoben, jetzt ist dort ein neuer Grillplatz. Der Ehemann der Toten, stand in der Zeitung, sei unter Mordverdacht festgenommen worden, um die vier Kinder habe er sich nach dem Verschwinden der Mutter liebevoll gekümmert, all die Jahre; August denkt, es wäre besser, der Park wäre geblieben, wie er war. Der Regen hört nicht auf. August schaut auf die Uhr, es ist halb drei. Ihm fällt ein, den Briefkasten mit der drölf zu suchen – der wird doch nicht auch ausgetauscht sein? Nein, da ist er. August geht in die Hocke und wartet. Kauernd, mit krummem Rücken, betrachtet er seine Schuhe, er muss sie putzen, bevor er ins Büro geht, müsste sie auch wieder gegen Nässe imprägnieren, eigentlich bräuchte er in den kommenden Monaten festeres Schuhwerk (in den kommenden Monaten, was heißt das, will er denn ewig weitergehen?). Da nähert sich der weißangezogene Mann. August erwartet, dass er an ihm vorbeilaufen werde, ohne ihn zu beachten; und tatsächlich guckt der Dauerläufer ihn nicht an, aber er scheint seine Augen leicht zu drehen, um aus den Winkeln einen flüchtigen Blick auf den hockenden Mann zu werfen. Als August auf die Uhr guckt, ist er enttäuscht, es ist erst zwei Uhr fünfunddreißig, der Dauerläufer ist drei Minuten zu früh dran. Mag sein, er bewegt sich bei Regen etwas schneller. August friert, er steht auf und geht weiter, ohne dem Dauerläufer nachzuschauen. Aber schon nach wenigen Schritten wird er unsicher. Hat er am richtigen Ort gewartet? Ist vielleicht der Briefkasten nicht ausgetauscht, aber versetzt worden? Und wer weiß, ob seine Uhr heute genau geht, oder ob sie damals genau ging? Vielleicht ist die Gleichmäßigkeit des Dauerläufers doch perfekt, aber unmessbar. Er bekommt Lust auf einen Crêpe, er sieht Manjas Hand, wie sie den Teig mit dem Rechen sachte kreisend auf der heißen Platte verteilt und glatt streicht: Da wäre doch vollkommenes Gleichmaß zu finden; aber ist das Harmonie oder Dressur? Beim Nachdenken ist er in einen leichten Laufschritt verfallen, er könnte ja im Dauerlauf nach Hause, dabei würde ihm warm werden. Er bemüht sich um eine fließende Bewegung. Aber sie gelingt ihm nicht, er wackelt, schwankt, wird nicht zu einer Linie. Er hätte gedacht, das Gehen hätte ihn fit gehalten, aber er hechelt ja schon. Trotzdem ist das Laufen angenehm. Er spürt, wie der Regen ihn durchnässt; nach einer Weile wird ihm warm, er beginnt zu schwitzen, und der Regen, stärker geworden, trifft auf sein heißes Gesicht. Die Brille beschlägt, die Straße

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