Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
die nicht wusste, wie sie anfangen sollte.
Anne rettete sie. »Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen zu Blanche Jones stellen«, erklärte sie freimütig.
Ganz recht, Anne, dachte Sam. Direkt zur Sache kommen. Nicht vorsichtig herantasten.
Alice riss die Augen auf. »Blanche? Die lebt doch schon seit Jahren nicht mehr hier.«
Anne zog Sam ein Stück vor. »Sie wissen ja, dass Samantha derzeit im alten Haus der Jones ’ wohnt, und da sind wir eben neugierig. Jemand hat gesagt, Blanche und Sie seien Freundinnen gewesen.«
»Die Leute reden nicht gern über Blanche«, murmelte Alice.
»Warum ist das so, Alice?«, fragte Anne.
»Sie konnte …« Alice stockte. »Nun ja, schwierig sein.«
»Aber Sie beide waren Freundinnen?« Anne ließ nicht locker.
»Ja.« Alice schaute auf die Küchenuhr. »Im Moment ist es etwas ungünstig. Ich möchte Sie nicht rausschmeißen, aber ich habe einen Termin.« Sie ging zum Küchentresen und hantierte mit einigen Papieren herum, die hinter dem Telefon steckten.
Sam trat auf sie zu. »Wir werden Sie nicht lange aufhalten, aber ich muss Ihnen eine Frage stellen. Hat Blanche den Strauch gepflanzt, der neben ihrem ehemaligen Haus wächst?«
»Das alte Ding lebt noch?«, fragte Alice, offensichtlich ohne nachzudenken.
Sam nickte. »Sie haben ihr den Samen gegeben, nicht wahr?«
Alice schob die Papiere in eine Schublade. »Ich muss jetzt wirklich los.«
»Ich habe nur noch eine Frage.« Sam rückte noch näher an sie heran. »War Blanche in der Nacht von Edwards Unfall mit ihm zusammen?«
Alice fuhr sich mit der Hand an die Kehle. »Woher wussten Sie das?« Ihr Kopf wackelte verwirrt vor und zurück. »Ich habe das nie jemandem verraten.« Sie zog die Augen zusammen. »Hat Edward es Ihnen gesagt?«
»Nein.«
»Woher wissen Sie dann …«
Sam schnitt ihr das Wort ab. »Wo ist Blanche jetzt, Alice?«
»Woher soll ich das wissen? Ich habe seit Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen.«
Sie log; da war Sam sich sicher. Ein schrecklicher Ver dacht stieg in ihr auf. Die blutige Leiche in ihrem Bett. Sie kannte die Wahrheit. Sie wusste, warum Blanche ihr buchstäblich als Gespenst erschienen war.
»Blanche hat den See nie verlassen, nicht wahr, Alice?«, fragte sie.
Alice versuchte, an ihr vorbeizuschlüpfen, aber Sam versperrte ihr den Weg.
»Sie ist tot, richtig?«
Anne schnappte nach Luft, während Alice plötzlich auf ihrem Stuhl zusammenbrach. Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen, und ihre Schultern bebten. Sam kniete sich vor sie und legte Alice die Hände auf den Schoß.
»Was ist passiert, Alice?«, fragte sie sanft.
Alice nahm die Hände vom Gesicht und sah Sam mit tränennassen Augen an. »Sie ist nicht tot, aber wahrscheinlich wäre das besser.«
Sam hockte sich verblüfft auf die Fersen. Sie war sich so sicher gewesen.
»Er hätte einfach eine Waffe nehmen und sie erschießen sollen«, fuhr Alice leidenschaftlich fort. »Das wäre eine Gnade gewesen.«
Sam stand auf und blickte auf sie hinunter. »Ich verstehe nicht …«
Alice sprang auf. »Nein? Ich dachte, Sie wüssten alle Antworten.«
»Beruhigen Sie sich doch, Alice«, sagte Anne, eilte herbei und ergriff sie beim Arm. Sie führte sie zum Stuhl zurück. »Und jetzt erzählen Sie uns, was geschehen ist.«
Alice wirkte vollkommen atemlos, als sie sich auf den Stuhl fallen ließ. Sie hob die Augen und sah zuerst Anne an, dann Sam. Dann schaute sie blicklos auf die Pudel hinaus, die hinten im Garten herumtollten. »Meine erste Pumpkin war ihr Hund, wissen Sie«, erzählte sie mit bebender Stimme. »Pumpkin hat sie damals gefunden.«
»Hat Blanche gefunden?«, hakte Sam nach.
Alice nickte seufzend. »Jetzt ist es wohl sowieso egal … er ist tot, und sie wird es auch bald sein.«
Sam fühlte sich, als wäre sie in eine Parallelwelt geraten.
»Alice …«
»Setzen Sie sich doch bitte«, bat Alice. »Ich kann nicht ständig zu Ihnen hinaufstarren.«
Sam und Anne zogen sich jede einen Stuhl heran und nahmen rasch Platz.
Alice, die ihre beiden Besucherinnen beobachtete, holte tief Luft. »Blanche ist nicht tot. Sie befindet sich in dem Pflegeheim drüben in Hankton.«
»Dann habe ich kürzlich also doch Sie auf dem Parkplatz gesehen, oder?«, rief Anne aus.
»Ich hatte schon befürchtet, dass Sie mich erkannt hatten. Ich besuche Blanche einmal pro Woche, und das seit fünfundzwanzig Jahren.«
»Hatte Blanche eine Art Zusammenbruch?«, fragte Sam.
»Nein.« Alices Gesicht wurde hart vor Zorn.
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