Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
Träume zerstört? Ich schüttele den Kopf und kippe meinen Drink. Ich wische mir den Mund mit dem Handrücken ab und schenke mir nochmals ein. Nein, nicht das Schicksal – sie, immer sie.
Ich gehe zur Stereoanlage und drehe sie auf, so dass Musik den Raum erfüllt, aber nicht einmal Musik kann meine Seele trösten. Ich stelle sie leiser. Mit dem Gefühl, eingesperrt zu sein, gehe ich ziellos hin und her und suche nach einem Fluchtweg. Es gibt keinen.
Ich kehre zum Fenster zurück, schaue durch mein Spiegelbild hindurch und begreife die Wahrheit.
Ich habe einmal getötet … da kann ich auch wieder töten.
32
Sam saß auf der Veranda, eine Tasse Kaffee in der Hand und Roxy zusammengerollt zu ihren Füßen. Ein Nebel schleier stieg traumartig von der glatten Oberfläche des Sees auf, und darüber verdeckte ein grauer Himmel die aufgehende Sonne. Sam war von einer Stille umgeben, als hielte die ganze Welt den Atem an. Sie wusste nicht warum, aber sie wurde das kribbelige Gefühl einer Vorahnung nicht los. Das mussten die Auswirkungen der letzten vierundzwanzig Stunden sein. Es war ihr gelungen, ihren Vater zu überreden, nach Minneapolis zurückzukehren und Jackson mitzunehmen. Als Drohkulisse hatte sie einen hässlichen Kampf vor Gericht auffahren müssen, der in die Schlagzeilen des Minneapolis Star geraten würde, aber schließlich hatte er einen Rückzieher gemacht. Zumindest vorläufig.
Alles, was sie heute tun wollte, war, sich mit ihrer Zu kunft zu befassen. Allmählich nahm ein Plan Gestalt an. Nach allem, was zwischen ihr, Jackson und ihrer Familie vorgefallen war, würde sie auf keinen Fall nach Minneapolis zurückkehren. Sie würde den Mietvertrag für das Ferienhaus verlängern und zumindest vorläufig hierbleiben. Wenn alles nach Wunsch verlief, würde sie vielleicht irgendwann eine kleine Kunstgalerie eröffnen. Sie würde ihre Arbeiten und die Werke anderer Künstler ausstellen. Sam runzelte die Stirn, denn es gab da ein Problem. Wenn sie eine Galerie führte, hätte sie nicht mehr viel Zeit zum Malen. Sie würde jemanden brauchen, dem sie vertraute und der das tägliche Verkaufsgeschäft übernahm.
Ihre Miene hellte sich auf: Anne. Die trug gerne Verantwortung. Der Umgang mit zögernden Kunden wäre gar nicht so viel anders wie die Arbeit mit widerstrebenden Patienten.
Zufrieden mit ihrer neuen Idee lächelte sie auf Roxy hinunter. »Siehst du – alles wird bestens.«
Sam spürte, dass die Hündin beim Klang ihrer Stimme den Kopf hob und wie fragend zu ihr aufschaute.
»Wir sollten glücklich sein, nicht wahr?«, sagte sie laut. »Die Vergangenheit ist vorbei.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem See zu und merkte, dass diese Feststellung stimmte. Als sie Anne und Greg ihr Erlebnis in Blanches Zimmer geschildert hatte, hatte sie das Gefühl gehabt, dass etwas seinen Abschluss gefunden hatte. Es war vorbei. Was für eine Verbindung auch immer zwischen ihr und Blanche bestanden hatte, sie hatte mit deren Tod geendet. Sam konnte voller Selbstvertrauen in die Zukunft gehen, niemand würde sie mehr heimsuchen. Jetzt musste sie nur noch das Gefühl von Unruhe loswerden, das ihre Arme zum Kribbeln brachte, und alles wäre in Ordnung.
Sam blickte sich nach dem halb fertigen Gemälde um, das durch die Verandatür zu sehen war. Wenn sie die Vergangenheit hinter sich lassen wollte, sollte sie sich wohl jetzt an seine Vollendung machen. Sie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den Himmel. Wenn es ihr mit dem Malen ernst war, musste sie in ihrem Arbeitsbereich ein paar Veränderungen vornehmen, und die Beleuchtung stand auf ihrer Liste ganz oben.
Genau das würde sie jetzt tun, dachte sie beim Aufstehen: eine Liste erstellen. Dann würde sie den Künstlerbedarfsladen in Minneapolis anrufen und sich neues Malmaterial schicken lassen. Das wäre ein weiterer Schritt vorwärts. Sie trat ins Haus, nahm sich Stift und Papier, setzte sich an den Küchentisch und dachte darüber nach, welche Artikel sie bestellen sollte. Ihr fiel nichts ein.
Sie klopfte mit dem Stift auf dem Tisch herum und betrachtete den leeren Zettel. Ein leises Jaulen lenkte ihre Aufmerksamkeit zur Tür.
»Schon kapiert. Du möchtest spazieren gehen«, sagte Sam zu der Hündin und stand auf. »Vielleicht hast du ja recht. Ein bisschen frische Luft würde uns beiden guttun.«
Sam schlüpfte in ihre Tennisschuhe, nahm Roxy an die Leine und trat zur Tür hinaus. Sie stand gerade auf der letzten Treppenstufe, als sie zu
Weitere Kostenlose Bücher