Wach nicht auf!: Roman (German Edition)
sollte ich mir ja einen zulegen«, meinte Anne lachend. »Was ich noch nie gefragt habe: Wie sind Sie eigentlich auf den Hund gekommen?«
Alices Lächeln verschwand, und sie wandte ihre Aufmerksamkeit ganz Sams Haar zu. »Eine alte Freundin.«
»Wirklich? Wer denn?«
»Ach«, meinte Alice und schaute plötzlich zu den beiden Frauen hinüber, die noch immer auf die andere Friseuse warteten. »Einfach nur jemand, der einmal hier gewohnt hat. Sie kennen sie bestimmt nicht.«
»Aber …«
»Wie geht es Caleb?«, wechselte Alice plötzlich das Thema.
Sam hörte ihr Geplauder, versuchte aber, es auszublenden. Wer interessierte sich schon für Hunde? Oder dafür, was Annes Sohn im Sommer vorhatte? Als sie die Gedanken schweifen ließ, wurde ihr bewusst, dass Annes Bemerkung über das Malen ihr mehr zu schaffen machte, als sie zu erkennen gegeben hatte. Es war so lange her, seit sie einen Pinsel in der Hand gehabt hatte, aber wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich an das Gefühl erinnern. An die Art, wie ihre Finger den glatten Holzstiel gepackt hielten, umströmt vom Geruch von Terpentin. Die Erregung, mit der sie die Leinwand betrachtet hatte, die sie zu bitten schien, sie mit Farbe zu füllen. Wie die Bilder in ihrem Kopf entstanden und durch den Pinsel auf die Leinwand geflossen waren und wie sie sich so vollkommen in den kreativen Prozess verloren hatte, dass sie gar nicht merkte, wie die Zeit verging.
Nein . Sam schob die Gedanken beiseite. Wie ihr Vater richtig bemerkt hatte, war die Kunst ein schönes Hobby, aber man konnte nicht davon leben. Gut, dass sie auf ihn gehört hatte und bei der Werbeagentur eingestiegen war. Was spielte es für eine Rolle, dass sie keine Zeit gehabt hatte, sich weiter mit dem Malen zu beschäftigen? Sie hatte mehr Erfolg genossen, als sie sich je hätte träumen lassen, und bei Gott, sie war noch nicht fertig. Beim Gedanken an Dan und seine Art, sich an ihren Vater ranzuschmeißen, ballte sie die Fäuste unter dem Kunststoffumhang, den Alice ihr umgelegt hatte. Wenn es nötig war, würde sie sich in ihren Job zurückkämpfen.
Und wenn sie den Kampf verlor? Alice und ihre Schere vollkommen vergessend, nickte Sam. Dann würde sie ihre eigene Werbeagentur eröffnen und ihrem alten Herrn ordentlich Konkurrenz machen. Jackson wäre damit nicht einverstanden. Er würde nicht wollen, dass zwischen Mitgliedern der Familie böses Blut herrschte, aber Pech für ihn. Er würde sich eben einfach damit abfinden müssen. Sie würde mit der Arbeit an ihrem Geschäftsplan beginnen, sobald sie zurück im Ferienhaus war. Dann hätte sie für den Fall vorgesorgt, dass ihr Vater sich weigerte, ihr ihre Stelle zurückzugeben.
Den Kopf voller Ideen, blickte Sam auf und stellte fest, dass Anne und Alice sie erstaunt betrachteten. »Oh, Entschuldigung, hatten Sie etwas gesagt?«, fragte sie und spürte die Röte in ihre Wangen steigen.
Alice nahm den Schutzumhang ab und drehte Sam den Sessel herum, bis ihre Kundin in den Spiegel sah. »Da«, meinte sie und zwinkerte Sams Spiegelbild zu. »Wie gefällt es Ihnen?«
Sams Augen weiteten sich. Die zerzausten Strähnen waren verschwunden. Stattdessen umschloss ihr kastanienbraunes Haar ihr Gesicht jetzt wie ein glänzender Helm und machte es weicher. Sie drehte den Kopf hin und her, und die Strähnen federten und schimmerten im Licht. Schick … sie fühlte sich schick, dachte sie, während sie sich selbst zulächelte.
Sie blickte zu Alice auf, und ihr Lächeln wurde breiter. »Danke«, erwiderte sie aufrichtig. »Es sieht toll aus.«
Erfreut half Alice Sam hoch und lockerte mit einer letzten Geste noch einmal die Haare zu beiden Seiten ihres Gesichts. »Kommen Sie in etwa sechs Wochen zum Nachschneiden wieder.«
Sam war sofort ernüchtert. Ziemlich unwahrscheinlich. Bis dahin stehe ich entweder wieder in meinem alten Job oder stelle meine eigene Werbeagentur auf die Beine.
»In sechs Wochen bin ich wieder in Minneapolis«, erklärte sie und sah Anne entschlossen an.
Anne schaute zu Boden und weigerte sich, Sams Blick zu begegnen. Diese spürte, wie ihre Freude in sich zusammensank. Die andere Frau glaubte nicht, dass es ihr in sechs Wochen besser gehen würde.
Was hatte sie sich eigentlich gedacht? Sie blickte sich noch einmal nach dem Spiegel um. Der neue Haarschnitt hatte nichts verändert, überlegte sie, als sie durch den Salon davonhinkte. Er würde ihr nicht ihre Stelle zurückverschaffen, und er würde die Muskeln in ihrem Bein nicht
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