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Wachen! Wachen!

Wachen! Wachen!

Titel: Wachen! Wachen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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er. »Ihr alle.«
    »Das genügt?« fragte Bruder Pförtner.
    »Ja.«
    »Müssen wir nicht irgendwelche mystische Runen singen oder so?«
    Der Oberste Größte Meister bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. Bruder Pförtners Gesicht bot sich nur als anonymer Schatten unter einer schwarzen Kapuze dar, aber trotzdem gelang es ihm, der wortlosen Unterdrückung mit einem bemerkenswerten Maß an Trotz zu begegnen. Er hatte sich keiner Geheimgesellschaft angeschlossen, um auf das Singen mystischer Runen zu verzichten. Ganz im Gegenteil: Er hoffte auf eine entsprechende Gelegenheit.
    »Sing ruhig, wenn du unbedingt willst«, sagte der Oberste Größte Meister. »Nun, ich möchte jetzt, daß ihr…
ja, was ist denn, Bruder Verdruß?«
    Der kleine Bruder ließ die Hand sinken. »Ich kenne keine mystischen Runen, Größter Meister. Und meine Stimme gibt nicht viel her…«
    »Dann beschränk dich darauf, nur zu
summen!«
    Der Oberste Größte Meister öffnete das Buch.
    Er hatte das betreffende Kapitel gelesen und überrascht festgestellt, daß die eigentliche Beschwörungsformel nach vielen Seiten umständlichen Geschwafels nur aus wenigen Worten bestand. Es waren weder mystische Runen noch irgendwelche thaumaturgischen Gesänge notwendig, auch keine düster klingenden Verse – einige zusammenhanglose Silben reichten aus. De Malachit behauptete, sie verursachten Interferenzen in den Wellen der Realität, aber diese Erklärung hatte der blöde alte Narr sicher frei erfunden. Genau darin bestand das Problem mit Zauberern: Sie machten immer alles kompliziert. In Wirklichkeit brauchte man nur Willenskraft. Und daran mangelte es den Brüdern gewiß nicht. Es mochte engstirnige, bornierte und haßerfüllte Willenskraft sein, von naiver Bosheit durchtränkt, aber sie konnte die notwendige Macht entfalten…
    Der Oberste Größte Meister beschloß, sich langsam an sein Ziel heranzutasten. Dies war der erste Versuch, und es mußte vermieden werden, verfrühtes Aufsehen zu erregen. Ein abgelegener Ort in der Stadt…
    Die Brüder sangen, und jeder von ihnen bemühte sich, besonders mystisch zu sein. Es ergab sich ein erstaunlich guter akustischer Effekt, wenn man nicht auf die Worte achtete.
    Die Worte. O ja…
    Der Oberste Größte Meister blickte aufs Buch hinab, las die Silben und sprach sie laut aus.
    Nichts geschah.
    Er zwinkerte.
    Als er die Augen wieder öffnete, befand er sich in einer dunklen Gasse. Feuer brannte in ihm, und er war sehr zornig.

    D em Dieb Dritter Klasse Zebbo Klaufix stand die schlimmste Nacht seines Lebens bevor, und es hätte ihn wohl kaum getröstet zu erfahren, daß es auch seine letzte sein würde. Der Regen sorgte dafür, daß alle Leute zu Hause blieben, und dadurch fiel es Zebbo schwer, die festgelegte Quote zu erfüllen. Aus diesem Grund war er nicht ganz so vorsichtig wie sonst.
    In den nächtlichen Straßen von Ankh-Morpork hat Vorsicht keine relative, sondern absolute Bedeutung. Wer nur ein wenig Vorsicht walten läßt, bezahlt einen hohen Preis dafür. Entweder ist man
sehr
vorsichtig – oder tot, selbst dann, wenn man noch auf beiden Beinen steht und atmet.
    Zebbo Klaufix hörte dumpfe Geräusche in einer nahen Gasse, zog den lederumhüllten Totschläger aus dem Ärmel und wartete, bis sich das Opfer der Ecke genähert hatte. Dann sprang er vor, sagte: »O, Mi…« Und verstarb.
    Ein höchst ungewöhnlicher Tod – seit vielen Jahrhunderten war niemand mehr auf diese Weise gestorben.
    Das kirschrote Glühen der Mauer hinter ihm verblaßte allmählich.
    Klaufix sah den Drachen von Ankh-Morpork als erster, was ihm in seinem gegenwärtigen Zustand jedoch herzlich wenig nützte. »… st«, murmelte er. Sein körperloses Selbst betrachtete einen kleinen Aschehaufen, und mit einer ihm unvertrauten Gewißheit begriff er, daß sich seine Seele gerade davon gelöst hatte. Es war ein sonderbares Gefühl, auf die eigenen sterblichen Überreste hinabzublicken. Zebbo spürte dabei nicht das Entsetzen, das sicher in ihm entstanden wäre, wenn er sich vor zehn Minuten derartigen Vorstellungen hingegeben hätte. Es ist gar nicht so schrecklich, tot zu sein, wenn man diese Feststellung
selbst
treffen kann.
    Die dunkle Gasse auf der anderen Seite war völlig leer.
    »Wie seltsam«, sagte Klaufix.
    SOGAR AUSSERGEWÖHNLICH SELTSAM.
    »Hast du’s beobachtet? Was ist eigentlich geschehen?« Zebbo Klaufix musterte die dunkle, von Schatten umhüllte Gestalt. »Wer bist du überhaupt?« fragte er

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