Wachen! Wachen!
an. »Gab’s da nicht einen Brief von einem Zwerg oder so?«
»Es war die Rede davon, der Gemeinschaft zu dienen und dafür zu sorgen, daß die Straßen sicher sind. ›Bringe ich die Hoffnung zum Ausdruck, daß mein Sohn für würdig gehalten wird, einen einfachen Posten in der Wache zu bekleiden…‹ So hieß es, glaube ich.« Wonse blätterte in verschiedenen Unterlagen.
»Was hat er angestellt?« erkundigte sich Mumm.
»Nichts. Das ist es ja gerade. Überhaupt nichts.«
Falten fraßen sich in Mumms Stirn, als sich in seinen Gedanken ganz neue Vorstellungen formten.
»Ein
Freiwilliger?«
fragte er ungläubig.
»Ja.«
»Man hat ihn nicht gezwungen, sich der Wache anzuschließen?«
»Es entsprach seinem
Wunsch.
Du hast gesagt: ›He, das soll wohl ein Witz sein!‹ Und meine Antwort lautete: ›Wir sollten mehr ethnische Minderheiten in die Wache aufnehmen.‹ Weißt du noch?«
Mumm versuchte, sich zu erinnern. Es fiel ihm nicht leicht. Er war sich vage der Tatsache bewußt, daß er trank, um zu vergessen, was ebenfalls nicht ganz unproblematisch blieb, da er sich kaum mehr daran erinnerte,
was
er vergessen wollte. Letztendlich trank er, um nicht ständig daran zu denken, daß er trank.
»Weiß ich es noch?« entgegnete er hilflos.
Wonse faltete die Hände auf dem Schreibtisch und beugte sich vor.
»Hör mir gut zu, Hauptmann«, sagte er. »Seine Lordschaft verlangt eine Erklärung. Ich möchte ihm nicht mitteilen, daß der Hauptmann der Nachtwache überhaupt keine Ahnung hat, was in seinem Kommando – soweit diese Bezeichnung angemessen ist – geschieht. So etwas könnte zu Schwierigkeiten führen, zu unangenehmen Fragen und dergleichen. Das wollen wir doch vermeiden, oder? Oder?«
»Ja, Sir«, murmelte Mumm. Neuerliches Schuldbewußtsein suchte ihn heim, als er sich – verschwommen und undeutlich – an jemanden zu entsinnen glaubte, der ihn in der
Weintraube
angesprochen hatte. Ein Zwerg? Nein, bestimmt nicht. Es sei denn, diese Definition dieses Wortes war drastisch verändert worden.
»Es freut mich, daß du meiner Meinung bist«, fuhr Wonse fort. »Um der alten Zeiten willen und so weiter. Nun, ich spreche mit Seiner Lordschaft. Und du wirst herausfinden, was los ist – und der Sache einen Riegel vorschieben, wenn du verstehst, was ich meine. Gib dem Zwerg eine kurze Lektion darüber, was es bedeutet, zur Wache zu gehören.«
»Haha!« machte Mumm pflichtbewußt.
»Wie bitte?« fragte Wonse.
»Oh. Deine letzte Bemerkung war nicht als ethnischer Scherz gemeint, nein? Entschuldigung, Sir.«
»Hör mal, Mumm, ich zeige wirklich viel Verständnis, wenn man die Umstände berücksichtigt. Geh jetzt und bring alles in Ordnung. Ist das
klar?«
Mumm salutierte. Tief in ihm lauerte ständig dunkle Niedergeschlagenheit, dazu bereit, die seltenen Phasen relativer Nüchternheit auszunutzen. Sie kroch ihm nun auf die Zunge.
»Zu Befehl, Herr Sekretär«, sagte er. »Ich werde den Zwerg darauf hinweisen, daß es gegen das Gesetz verstößt, Diebe zu verhaften.«
Gleich darauf bedauerte er diese Worte. Wenn er nicht immer wieder derartige Kommentare abgegeben hätte, wäre er jetzt vielleicht Hauptmann der
Palastwache,
ein geachteter und respektierter Offizier. Der Patrizier stellte seinen besonderen Sinn für Humor unter Beweis, als er Mumm den Befehl über die Nachtwache gab. Nun, diesmal kam es nicht zu den befürchteten ernsten Konsequenzen: Wonse las ein Dokument und schien den Sarkasmus gar nicht gehört zu haben. »In Ordnung«, sagte er nur.
L
iebe Mutter,
(schrieb Karotte),
heute ist es viel besser gewesen. Ich habe das Gebäude der Diebesgilde betreten, den obersten Bösewicht verhaftet und zum Palast des Patriziers gebracht. Er wird bestimmt nicht mehr gegen das Gesetz verstoßen. Frau Palm hat mir angeboten, in der Mansarde zu wohnen. Sie meinte, ein Mann im Haus sei sehr nützlich. Der Grund dafür ist: In der letzten Nacht schlugen mehrere Betrunkene in einem Damenzimmer Krach, und ich mußte mit ihnen sprechen, aber sie wollten nicht auf mich hören, und einer von ihnen versuchte, mich mit dem Knie zu verletzen, aber ich trug den Schützer, und Frau Palm sagte, er hat sich seine Patella gebrochen, aber ich brauche keine neue zu bezahlen.
Manche Wächterpflichten verstehe ich nicht. Ich habe einen Partner namens Nobby. Er sagt, ich bin zu diensteifrig. Er sagt auch, ich muß noch viel lernen. Das stimmt vermutlich, denn ich habe erst bis zur Seite 326 im Buch ›Gesetze und
Weitere Kostenlose Bücher