Wachen! Wachen!
entschieden, so fühlten sie sich automatisch vom Posten des Feldwebels angezogen. Der Rang des Korporals kam für Colon einfach nicht in Frage. Ebensowenig der des Hauptmanns. Wenn Leute wie er keine Soldaten wurden, so standen sie hinter dem Metzgertresen und verkauften Würstchen. Sie suchten sich eine Arbeit, die ein großes rotes Gesicht und den Hang erforderte, selbst dann zu schwitzen, wenn es schneite.
Colon salutierte, legte einen zerknitterten Zettel auf Mumms Schreibtisch und strich ihn mit dramatischer Sorgfalt glatt.
»‘n Abend, Hauptmann«, sagte er. »Der Bericht über die gestrigen Zwischenfälle. Außerdem schuldest du dem Teeklub vier Pence.«
»Was hat es mit dem Zwerg auf sich, Feldwebel?« fragte Mumm brüsk.
Colon runzelte die Stirn. »Zwerg?« wiederholte er verwundert.
»Ich meine das neue Mitglied der Nachtwache. Der Bursche heißt…« Mumm zögerte. »Karotte oder so ähnlich.«
»Ach,
ihn
meinst du?« Colon starrte den Hauptmann groß an. »Er soll ein
Zwerg
sein? Ich hab’s immer gesagt: Man kann den kleinen Kerlen nicht trauen! Er hat mich reingelegt, Hauptmann, muß gelogen haben, als ich ihn nach seiner Größe fragte!« Colon vertrat größistische Einstellungen, wenn es um Leute ging, die kleiner waren als er.
»Heute morgen hat er den Präsidenten der Diebesgilde verhaftet.«
»Warum?«
»Er warf ihm vor, Präsident der Diebesgilde zu sein.«
Die Verwirrung des Feldwebels wuchs. »Das ist doch kein Verbrechen, oder?«
»Ich glaube, ich sollte mit Karotte reden«, sagte Mumm.
»Hast du denn noch nicht mit ihm gesprochen, Sir?« fragte Colon. »Er meinte, er hätte sich bei dir gemeldet, Sir.«
»Ich, äh, bin wahrscheinlich mit anderen Dingen beschäftigt gewesen«, antwortete Mumm. »Habe viel zu tun, weißt du.«
»Ja, Sir«, bestätigte Colon höflich. Mumm besaß gerade genug Selbstachtung, um den Blick zu senken und einige staubige Aktenstapel zurechtzurücken.
»Wir müssen ihn so schnell wie möglich von der Straße holen«, brummte er. »Sonst kommt er noch auf den Gedanken, das Oberhaupt der Meuchlergilde zu verhaften und ihm Mord vorzuwerfen! Wo steckt er jetzt?«
»Ich habe ihn zu Korporal Nobbs geschickt, Hauptmann. Damit er von ihm die Kniffe lernt.«
»Du überläßt
Nobby
einen neuen Rekruten?« ächzte Mumm.
»Nun, Sir«, erwiderte Colon unsicher, »er hat Erfahrung. Ich dachte, Korporal Nobbs könnte Karotte zeigen, worauf es ankommt…«
»Hoffen wir, daß der Zwerg langsam lernt«, sagte Mumm und rammte sich den Helm auf den Kopf. »Komm!«
Als sie das Wachhaus verließen, lehnte eine Leiter an der Tavernenmauer. Ein untersetzter Mann stand auf einer der oberen Sprossen und fluchte halblaut, während er mit dem leuchtenden Schild rang.
»Es ist das E!« rief Mumm. »Das E funktioniert nicht richtig.«
»Was?«
»Das E. Und das T zischt, wenn’s regnet. Die Reparatur ist längst überfällig.«
»Reparatur? Oh. Ja. Reparatur. Genau darum geht es mir. Ich repariere das Ding. Ja.«
Die beiden Wächter stapften durch die Pfützen davon, Bruder Wachturm schüttelte langsam den Kopf und konzentrierte sich dann wieder auf den Schraubenzieher.
M änner wie Korporal Nobbs gibt es in jeder Streitmacht. Für gewöhnlich verfügen sie über ein geradezu enzyklopädisches Wissen, was alle Einzelheiten der Dienstvorschriften betraf, aber sie achten immer darauf, nie über den Rang des, nun, Korporals hinaus befördert zu werden. Nobbs neigte dazu, aus dem Mundwinkel zu sprechen. Er rauchte unaufhörlich, aber Karotte machte eine seltsame Feststellung: Jede von Nobby gerauchte Zigarette verwandelte sich fast sofort in einen Stummel und
blieb
ein Stummel, bis er irgendwann hinter dem Ohr verschwand, das eine Art Elefantenfriedhof für Nikotin darstellte. Wenn er einmal eine Rauchpause einlegte (was selten genug geschah), hielt er die Zigarette (beziehungsweise den Stummel) in der gewölbten Hand.
Nobbs war klein und krummbeinig, wies gewisse Ähnlichkeiten mit einem Schimpansen auf, der nie zu Teepartys eingeladen wurde.
Sein Alter blieb ein Rätsel. Wenn man Zynismus und allgemeine Lebensmüdigkeit als Maßstab nahm – die Kohlenstoffdatierung der Persönlichkeit –, so war er etwa siebentausend Jahre alt.
»Hier ist nie viel los, und das bedeutet, wir können eine ruhige Kugel schieben«, sagte er, als er zusammen mit seinem Begleiter durch eine feuchte Straße im Kaufmannsviertel schlenderte. Versuchsweise drehte er einen Knauf. Verriegelt.
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