Wachen! Wachen!
»Wenn du bei mir bleibst«, fügte er hinzu, »findest du bald heraus, wie der Hase läuft. Versuch’s mit den Türen auf der anderen Straßenseite.«
»Oh, ich verstehe«, sagte Karotte. »Wir überprüfen, ob alle Läden abgeschlossen sind.«
»Du bist auf Zack, Junge.«
»Vielleicht bekommen wir Gelegenheit, einen Bösewicht auf frischer Tat zu ertappen«, murmelte Karotte verträumt.
»Äh, ja«, erwiderte Nobby unsicher.
»Nun, wenn wir eine unverschlossene Tür finden, so ist es unsere Pflicht, den Ladeninhaber zu verständigen«, fuhr Karotte fort. »Und einer von uns muß hierbleiben, um aufzupassen, nicht wahr?«
»Ja?« Nobbys Miene erhellte sich. »Das übernehme ich«, sagte er. »Mach dir deshalb keine Sorgen. Geh du ruhig los, um dem Opfer, äh, dem Ladeninhaber Bescheid zu geben.«
Er griff nach einem anderen Knauf. Das Ding drehte sich.
»Wenn bei uns in den Bergen ein Dieb gefaßt wird«, erklärte Karotte, »so hängt man ihn auf, und zwar am…«
Er unterbrach sich und kontrollierte eine Tür.
Nobby erstarrte.
»Am
was?
« fragte er mit entsetzter Faszination.
»Weiß nicht mehr«, entgegnete Karotte. »Meine Mutter meint, Diebe haben eine noch viel schlimmere Strafe verdient. Stehlen ist Unrecht.«
Nobby hatte viele berühmte Massaker überlebt, indem er so klug gewesen war, nicht daran teilzunehmen. Er ließ den Knauf los und versetzte ihm einen freundlichen Stoß.
»Ich hab’s!« entfuhr es Karotte. Nobby zuckte zusammen.
»Du hast was!« fragte er.
»Mir ist gerade eingefallen, woran man bei uns Diebe aufhängt.«
»Oh.« Nobby stöhnte leise und schluckte. »Woran denn?«
»Am Rathaus«, sagte Karotte. »Manchmal tagelang. Sie stehlen nie wieder, das steht fest. Und Bjorn Starkimarm ist dein Onkel.«
Nobby lehnte seine Pike an die Mauer und holte einen gelbschwarzen Stummel hinter dem Ohr hervor. Er hielt den Zeitpunkt für gekommen, die eine oder andere Sache zu klären.
»Warum mußtest du Wächter werden, Junge?« erkundigte er sich.
»Diese Frage stellt man mir dauernd«, antwortete Karotte. »Ich mußte es nicht. Es entsprach vielmehr meinem Wunsch. Die Wache wird einen Mann aus mir machen.«
Nobby sah nie irgend jemandem direkt in die Augen. Derzeit starrte er verblüfft auf Karottes rechtes Ohr.
»Soll das heißen, du bist nicht vor irgend etwas auf der Flucht?«
»Wovor sollte ich fliehen?«
Nobby gestikulierte vage und suchte nach den richtigen Worten. »Oh, es gibt immer etwas. Vielleicht… vielleicht hat man dir was zur Last gelegt, obwohl dich überhaupt keine Schuld trifft. Zum Beispiel…« Er grinste. »Vielleicht sind auf geheimnisvolle Weise irgendwelche Dinge aus einem Vorratslager verschwunden, und man macht dich dafür verantwortlich. Oder man fand gewisse Dinge bei deinen Sachen, ohne daß du wußtest, wie sie dorthin kamen. So was in der Art. Kannst es dem alten Nobby ruhig sagen.« Er gab Karotte einen kameradschaftlichen Stoß in die Rippen. »Oder steckt was anderes dahinter, hm?
Scherscheh la fam,
was? Ein Mädchen in Schwierigkeiten gebracht?«
»Ich…«, begann Karotte und erinnerte sich dann daran, daß man immer die Wahrheit sagen sollte, selbst wenn man es mit Leuten wie Nobby zu tun hatten, die gar nicht wußten, was das bedeutete. Die Wahrheit lautete: Ja, er hatte Minty dauernd Probleme bereitet, obgleich die Frage nach dem Wie und Warum noch auf eine Antwort wartete. Wenn er sie besuchte und anschließend die Höhle der Felsschmetterer verließ, hörte er fast jedesmal, wie Minty von ihren Eltern ausgeschimpft wurde. Ihm gegenüber verhielten sie sich immer recht freundlich, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund genügte es, zusammen mit Minty gesehen zu werden, um sie in Schwierigkeiten zu bringen.
»Ja«, gestand er ein.
»Aha, dachte ich mir«, kommentierte Nobby weise. »Geschieht häufig.«
»Ich bekomme es ständig mit Frauen zu tun, die in Schwierigkeiten sind«, fügte Karotte hinzu. »Praktisch jeden Abend.«
»Donnerwetter!« brummte Nobby beeindruckt und betrachtete den Schützer. »Ist das der Grund, warum du so ein Ding trägst?«
»Ich verstehe nicht…«
»Schon gut«, sagte Nobby. »Jeder hat sein kleines Geheimnis. Oder auch sein großes. Das gilt selbst für den Hauptmann. Er ist nur bei uns, weil ihn eine Frau ruwinierte. Es sind seine eigenen Worte. Er wurde ruwiniert, von einer Frau.«
»Meine Güte!« hauchte Karotte und stellte sich etwas sehr Schmerzhaftes vor.
»Aber ich schätze, es liegt
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