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Wachgeküßt

Wachgeküßt

Titel: Wachgeküßt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Harvey
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einundzwanzig, studiert im letzten Jahr in Oxford Politikwissenschaften und ist, soweit ich das beurteilen kann, immer noch ein verwöhntes Balg. Er und seine Freunde jagen durch das Haus wie völlig überdrehte Kinder bei einer Geburtstagsfeier. Sie sind total betrunken, und einige von ihnen, da bin ich sicher, sind auch noch total bekifft. Wie die Gewinner beim Autorennen von Silverstone bespritzen sie sich gegenseitig mit erlesenem Champagner, zertrampeln Garnelen mit Knoblauch auf den Orientteppichen und spielen Himmel und Hölle auf dem schwarzweiß gemusterten Boden der Eingangshalle.
    Einer von Angus’ Freunden rutscht mit den glatten Ledersohlen seiner brandneuen Schuhe auf den Terracottafliesen im Wintergarten aus, stößt mit dem Schienbein an eine schwere,
verschnörkelte Urne, in der eine kleine Palme steht, stolpert und schlägt mit dem Kopf gegen die Statue einer nackten Persephone.
    Ich komme zu der Überzeugung, daß es in der Küche bei der theatralischen Juliana sicherer ist.
    Vielleicht sollte ich dorthin zurückkehren und die ganze Litanei über die Tugend des Vergebens und Vergessens abspulen. Ich weiß sehr wohl, daß ich just in diesem Moment nicht gerade die geeignetste Anwältin dafür bin – man denke nur mal an Max und mich oder vielmehr an die Tatsache, daß es Max und mich wegen seiner ähnlich gelagerten Indiskretion nicht länger gibt – aber sicher ist das in Julianas Alter doch etwas anderes, oder? Sie und Roger sind seit Jahrhunderten verheiratet, und im Unterschied zu Max und mir, die wir uns für die Streitolympiade bewerben könnten, kommen sie normalerweise ganz gut miteinander aus, verrückt, wie sie beide sind. Also ist ihr Fall etwas anders gelagert, wenn ich mich nicht irre.
    Nach fünfzehn Minuten taucht Emma wieder auf, läßt sich neben mir nieder und stößt einen tiefen Seufzer aus.
    »Wo ist deine Mutter?« frage ich sie.
    »Ach, die ist nach oben gegangen, um ihr Make-up in Ordnung zu bringen«, erwidert Emma, greift nach meiner Flasche und setzt sie direkt an den Mund.
    »Aber sie wollte doch abhauen?«
    »Ach, das. Das will sie doch ständig. Das dauert aber nie lange. Ich glaube, länger als drei Tage ist sie noch nie weggewesen. Da hat sie wirklich Blut und Wasser geschwitzt. Hat sozusagen Höllenqualen gelitten, um nicht zu Hause anzurufen, und als sie schließlich nachgegeben hat und zu Dad zurückgekehrt ist, hatte der es noch nicht mal bemerkt. Er hatte gedacht, daß sie das Wochenende bei Oma in Sussex verbringen würde oder so was.«
    »Und was ist mit Rogers anderer Frau?«
    »Es gibt keine andere. Anscheinend hat sie eine Kreditkartenabrechnung
für irgendwelche Juwelen gefunden, von denen sie noch nichts gesehen hat, woraufhin sie völlig ausgerastet ist. Du kennst sie ja, sie liebt das Melodramatische.«
    »Na ja, hört sich trotzdem verdächtig an.«
    »Mutter hat nächste Woche Geburtstag. Dann wird sich wohl alles aufklären.«
    »Ah, alles klar... eine Überraschung.«
    »Wird aber nicht mehr lange eine bleiben, wenn es nach meiner Mutter geht.«
    Juliana kehrt mit frisch nachgezogenem, blauem Lidstrich und rosaroten Apfelbäckchen wie bei einer alten, bemalten Porzellanpuppe zurück. Die gebleichten, platinblonden Haare türmen sich auf ihrem Kopf wie ein Teller Kartoffelpüree.
    Vor Überraschung bleibt mir der Mund offenstehen, als sie zu uns herüberkommt und mich gin-selig umarmt.
    »Hör auf meinen Rat, Liebes, laß sie nicht zu frech werden«, haucht sie mir ins Gesicht. Allein von dem Geruch könnte man betrunken werden. »Verpaß Max eine Probe seiner eigenen Medizin, bevor du zu alt bist, um es genießen zu können, eine Dosis davon zu verabreichen.«
    Sie drapiert ihre Brüste vorne im Kleid wie zwei übergroße Melonen in einem Obstkorb und taumelt dann hinüber zu einer Gruppe, in der ihr Gatte wortgewaltig die Vorzüge von Trockenfutter und Vitaminpillen für Cockerspaniel darlegt. Dort tätschelt sie erstmal ihren Bankmanager.
    Ich sehe Emma an.
    Sie zuckt die Achseln und lächelt mir zaghaft zu.
    »Ich glaube, ich wurde adoptiert.«
    Plötzlich wenden sich die Blicke aller Frauen zur Tür.
    Meine Kinnlade neigt eigentlich nicht dazu, beim Anblick des anderen Geschlechts nach unten zu klappen, aber gerade ist die perfekte Version eines Traummannes eingetreten. Die Gespräche versiegen, als die Leute sich umdrehen und ihre Aufmerksamkeit
augenblicklich abgelenkt wird, wie das nur bei wahrer Schönheit der Fall ist. Das Objekt all

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