Wachgeküßt
dieser Bewunderung scheint sich des Eindrucks kaum bewußt zu sein, den es auf die Menschen im Raum hat – mich eingeschlossen. Er kratzt sich am Kinn. Leicht nervös sieht er sich in der heftig trinkenden, gaffenden, quatschenden Menge um und nimmt sich dann ein Glas Champagner von einem der Tabletts, die ihm von dem Schwarm junger Serviererinnen, die sich auf ihn gestürzt haben wie Motten auf das Licht, unter die Nase gehalten werden.
»Wow!« entfährt es mir, als ich den perfekt geformten Körper, das zerzauste, dunkle Haar und die leuchtenden, jadegrünen Augen erblicke. Ich suche nach etwas Passenderem, aber ich kann nur einfach und ohne jede Eloquenz das letzte Wort wiederholen, das mir unfreiwillig über die Lippen gekommen ist.
»Wow!« Dieses Mal atme ich gleichzeitig und hörbar aus.
»Genau!« konstatiert Emma mit einem gewissen Stolz. »Verstehst du jetzt, was ich meine?«
»Das ist er?« frage ich atemlos.
Sie nickt.
»Das...« sagt sie, amüsiert über meine Reaktion, »... ist Guy.«
Ich weiß nicht, ob ich beeindruckt oder enttäuscht sein soll. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß so jemand mit mir ausgehen wollen würde, Schein oder nicht Schein, egal.
Der goldige Guy wird sofort von Emmas Mutter und einigen ihrer Freundinnen in Beschlag genommen, die die Serviererinnen mit ihren Gucci-Täschchen böse aus dem Weg prügeln. Während er den Raum durchquert, bleiben sie dicht an ihm dran wie eine Meute knöchelleckender, schwanzwedelnder, hechelnder Pudel.
»Er ist toll«, gestehe ich. »Gekauft.«
Emma lächelt und streicht mir das Haar aus dem Gesicht, um nachzusehen, wieviel von dem Make-up, das sie heute früh so sorgfältig aufgetragen hat, noch da ist.
»Das habe ich mir gedacht. Na, dann wollen wir mal sehen, für welchen Preis er zu haben ist.«
Wir brauchen eine ganze Weile, um den goldigen Guy von dem geifernden Aufgebot alternder Verehrerinnen loszueisen. Genaugenommen wird es sogar schon Abend, und die Sonne versinkt allmählich hinter den hügeligen, grünen Rasenflächen auf der Rückseite des Hauses. Am Himmel über uns bilden sich erst rosa-orange Streifen, dann wird es immer dunkler, während die Sonne hinter den Bäumen verschwindet. Schließlich wechseln die geifernden Geier widerstrebend von Guy hinüber zum wieder aufgefüllten Büfett, um dort weiterzugeifern. Sie stopfen sich gefüllte Pilze in die Gurgel, in der Hoffnung, damit einen Teil der riesigen Mengen an Alkohol aufzusaugen, die sie im Laufe des Nachmittags zu sich genommen haben.
Es gelingt uns, ihn im Wintergarten in eine Ecke zu drängen.
Aus der Nähe ist er noch beeindruckender, eine Art weichgezeichneter E1 Greco mit einem langen, schlanken, geschmeidigen Körper, kantigen Wangenknochen, dem verführerischsten Mund, den ich je bei einem Mann gesehen habe, und mit schmalen Augen wie bei einer verwöhnten siamesischen Katze, umgeben von den längsten, dichtesten Wimpern, die es je gab.
Er gehört zu der Sorte Männer, die man im Morgengrauen im Smoking über den Markusplatz schlendern sieht, die Hände lässig in den Hosentaschen, die Fliege lose am Kragen, das Haar zerzaust und glänzend, und dazu werfen rassige italienische Weiber Rosen von den Balkonen. So wie in einem Werbespot für exklusiven Champagner oder hormonankurbelndes Aftershave oder so etwas.
Wenn er einen ansieht, will man am liebsten dahinschmelzen wie Eis in der Sonne.
Um es mal ganz direkt zu sagen: Er ist total geil.
Eine ganze Schar honigsüßer Mädels sollte ihm zu Füßen liegen,
und er sollte ein kleines schwarzes Büchlein haben, das voller Handynummern ist. Hat er wahrscheinlich auch. Ich habe heute genau gesehen, wie Frauen ihm ihre Nummern zugesteckt haben. Die Frage ist nur, ob er genug Scharfsinn besitzt, um herauszufinden, wie man ein Telefon benutzt... Ehrlich, man trifft selbst in einer Sonderschule auf mehr Intelligenz.
Hätte er wiederum mehr als eine einzelne graue Zelle, dann wäre er wahrscheinlich unausstehlich. So jedoch ist er einfach strohdumm... ganz süß, ganz lieb, ein wahrer Adonis, aber dafür absolut megastrunzdumm.
Wir müssen ihm unseren Plan etwa achtmal hintereinander erklären, doch schließlich hat er kapiert und äußert sich mit überraschender Begeisterung.
»Also machst du mit?« fragt Emma, nachdem sie es ihm noch einmal mit kurzen einfachen Wörtern erklärt hat.
Ein Haufen furchtbar betrunkener, jugendlicher Snobs läuft schreiend am Fenster vorbei. Sie tragen Kleider,
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