Wachgeküßt
aufgenötigt zu bekommen, dem nur noch ein spießiger Haarreif und eine größere Nase fehlen, die man affektiert in die Luft recken kann, um das Ganze abzurunden, aber dieses mitternachtsblaue, monströse Nonnengewand, ist doch noch bedeutend schlimmer.
Erst in diesem Moment begreife ich, daß der wandelnde Theatervorhang Emmas Mutter Juliana ist, kurz »Juwel« genannt, was auch ziemlich passend ist in Anbetracht der großen Menge an Gold und Diamanten, mit denen Kopf und Hände geschmückt sind. Sie ist eine lebende Cartier-Werbung. Jeden ihrer Wurstfinger schmücken ein oder zwei Ringe, eine glitzernde Ansammlung, ein unbezahlbarer, dauerhafter Schlagring für ihre Knöchel. Es heißt, eine Frau, die viele Ringe trägt, stellt das Verlangen zur Schau, von ihrem Mann besessen und dominiert zu werden.
Juliana versucht, diese Theorie zu widerlegen.
»Ich verlasse deinen Vater«, bellt sie Emma an, gerade als wir versuchen, durch die Tür zu gehen, und sie hinausdrängt.
Ohne Rücksicht darauf, daß in ihrem Haus gerade eine ziemlich wüste Party im Gange ist, fängt sie an, das Gepäck in den offenen Kofferraum eines dreckigen, grünen Range Rovers zu laden, hält dann inne, feuert alles auf den Boden, dreht sich zu ihrer Tochter und sinkt ihr wie ein schlechter Schmierenkomödiant,
der gerade auf der Bühne erdolcht wurde, in die Arme. Sie fängt an, laut zu schluchzen.
Emma, die sich ganz eindeutig fragt, was, zum Teufel, in sie gefahren ist, daß sie überhaupt in Erwägung gezogen hat hierherzukommen, schafft es, Juliana zu beruhigen und sie zurück ins Haus zu bringen. Drinnen wogt eine erlesene Menge, die trinkt und sich über den Lärm der Musik hin anschreit wie eine kunterbunte Ansammlung von Raubvögeln. Das einzige, was ihnen allen gemein zu sein scheint, ist die Neigung, sich nachmittags vollaufen zu lassen. Die Kleiderordnung reicht vom Ballkleid bis zum Overall; einige Leute stehen noch immer in ihren dreckbespritzten, roten Jagdröcken rum und labern sich gegenseitig voll. Als ich dann noch einen voll ausstaffierten Vikar mit einem Glas Chablis in jeder Hand durch den Raum gehen sehe, bin ich fast schon davon überzeugt, auf einer Kostümparty zu sein, bis ihn jemand wirklich mit »Hochwürden« anspricht.
Juliana gestattet es Emma, sie durch die Menge zu geleiten. In der Küche läßt sie sich auf einen Stuhl fallen und streckt die Beine von sich. Ihr gewaltiger Busen wogt, als sei sie völlig erschöpft, und sie verlangt nach einem großen Gin Tonic. Emma überhört diese Bitte, doch Juliana scheint es gar nicht zu merken, sie nimmt das Glas Wasser, das ihr hingehalten wird, und kippt es in einem Zug hinunter, wobei sie sich lediglich über das Fehlen von Eiswürfeln und Zitronen beschwert.
»Er hat heimlich eine andere«, trompetet sie ohne jede Einleitung, und ihr Gesicht taucht aus dem Wasserglas auf wie ein tropfnasser Labrador aus einem See.
»Sie machen doch Witze, oder?« frage ich erstaunt. Emmas Vater ist ungefähr so attraktiv wie ein zwei Wochen alter Naturjoghurt, der nicht im Kühlschrank gelagert wurde.
»Würde ich über so etwas Witze machen? Was soll ich nur tun?« schluchzt sie. »Ich bin so verzweifelt, so deprimiert!«
Ich ziehe in Erwägung, ihr von meiner kleinen Rache zu erzählen,
beschließe dann aber, daß sie auch so schon labil genug ist, ohne daß ich ihr einen Tip in Sachen Akkubohrer oder heißgeliebte Besitztümer gegeben hätte.
»Das kann ich mir bei Dad gar nicht vorstellen.« Emma nimmt Juliana in den Arm und schneidet über die breite Schulter ihrer Mutter gelehnt eine Grimasse. »Reg dich nicht so auf, ich bin sicher, daß sich für alles eine vernünftige Erklärung finden läßt.«
»Ach, du bist ja so ein kluges Mädchen. Du bist mir eine wirkliche Stütze, Liebes. Was würde ich nur ohne dich tun?« Wieder beginnt Juliana, an ihrer Schulter zu schluchzen. Wieder tauschen Emma und ich hinter ihrem Rücken Blicke aus und verdrehen gleichzeitig die Augen himmelwärts.
Ich beschließe, die beiden allein zu lassen, und setze mich ab, um mir einen Drink zu holen. In dem großen Wintergarten auf der Rückseite des Hauses finde ich ein stilles Plätzchen für mich und eine Flasche gestohlenen Chäteau Neuf du Pape. Die ursprünglich geplante Männerjagd lege ich erst mal zu den Akten und lasse mich nieder, um mich zu betrinken und die Ausschweifungen um mich herum zu verfolgen.
Emmas kleiner Bruder war von Kindheit an ein verwöhntes Balg. Jetzt ist er
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