Wachgeküßt
Sportwagen – solche, in denen man wirklich
fahren kann. Und besonders natürlich für den einzig wahren Italian Stallion, den italienischen Hengst.
»Ist das wahr?« Mir stockt der Atem vor Aufregung.
Sie nickt langsam und beißt sich auf die Unterlippe. Dann wirft sie mir von der Seite einen Blick zu.
»Und ob. Es ist scharf, rot und hört auf den gleichen Namen wie Fred Feuersteins Lieblingstier...«
»Und du bist dir sicher, daß er am siebenundzwanzigsten Zeit hat?«
Emmas Eltern leben in einer wirklich sehr wohlhabenden Gegend von Berkshire. Meine Eltern leben auch in Berkshire, allerdings in einer nicht ganz so wohlhabenden, aber immer noch recht netten Gegend. Wenn man von uns zu Emma fährt, ist das so, als würde man einem Trampelpfad folgen, der gesellschaftliche Ambitionen hat.
Man merkt, wie man aufsteigt, weil sich die Namensschilder ändern, je weiter man vorankommt. Wenn man bei meinen Eltern losfährt, trifft man noch auf Häusernamen wie White Gates oder Five Acres, die in Holz geschnitzt oder von den örtlichen Gartencentern umständlich in gußeisernen, schwarzen Lettern gefertigt worden sind. Dann kommt man in die besseren Gegenden und zu den Messingschildern, die besagen, daß man soeben in The Grange oder Highfield House angekommen ist. Wenn man dann die Gegend von Emmas Eltern erreicht, findet man gar keine Namensschilder mehr, sondern nur noch eine kuriose Tafel, auf der die Öffnungszeiten der jeweiligen Schlösser stehen.
Wir verlassen die Hauptstraße und passieren die – das muß man sich mal vorstellen! – Pförtnerhäuschen. (Zugegeben, jedes hat höchstens zwei Räume, die selbst für einen Zwergpygmäen zu klein sind, trotzdem ist es beeindruckend, denn meine erste Wohnung in London war noch kleiner!) Wir fahren eine imposante
Allee hinunter. Die untersten Äste der großen, alten Eichen sind von grasendem Vieh ganz abgeknabbert. Sie zieht sich über eine Meile hin, bevor wir zum Haus kommen.
Das Haus von Emmas Eltern ist eines dieser großen, alten Gebäude im georgianischen Stil, die riesigen verwilderten, überwucherten Puppenhäusern gleichen. Die Auffahrt führt in einem Bogen vor der Hausfront entlang, die jetzt von einer hohen Steinmauer anstelle der Bäume begrenzt wird, und schließt sich vor dem Haupteingang zu einem Kreis, der früher den Kutschen als Wendepunkt diente. Emma parkt ihre kleine rote Schrottlaube zwischen einer Ansammlung von gepflegten, sportlichen BMWs, Geländewagen und Porsches, die bereits kreuz und quer auf dem Rasen und in der Auffahrt stehen wie im Vorführraum eines Luxusautohändlers in Knightsbridge.
Ich steige aus. Es ist vier Uhr nachmittags, die Sonne steht hoch an einem blaßblauen Himmel, vom See auf der Rückseite des Hauses schallen die Rufe der Moorhühner herüber, am Horizont sieht man Pferde mit wehendem Schweif vorbeigaloppieren, und aus dem Haus dröhnen die Chemical Brothers so laut, daß die georgianischen Sprossenfenster in ihren Rahmen erzittern.
»Ich sehe, mein kleiner Bruder ist zu Hause«, bemerkt Emma trocken. Angus ist sieben Jahre jünger als sie, und beide freuen sich bei jedem Treffen ungefähr so sehr wie ein englischer Brummifahrer, der auf einen französischen Bauern trifft, welcher mit seinem quergestellten Traktor gerade die Autobahn blockiert.
»Was ist eigentlich der Anlaß für dieses Fest?« frage ich, als die Vordertür aufgeht und einige bereits betrunkene Gäste heraustorkeln, sich gegenseitig und ihre Gläser im Arm haltend. Sie wanken in Richtung Pferdekoppel, um eine Szene aus einem John-Wayne-Film nachzuspielen.
»Glaubst du etwa, meine Eltern brauchen einen Anlaß, um sich vollaufen zu lassen?« Emma knallt die Fahrertür zu, und auf meiner Seite bröckeln mehrere Roststücke vom Türrahmen ab. »Sie
könnten vielleicht als Grund angeben, daß sie es die letzten dreißig Jahre miteinander ausgehalten haben...«
Wie zur Antwort auf Emmas letzte Mutmaßung kommt eine Frau aus dem Haus gestürzt. Sie schluchzt laut und schleift in jeder Hand ein Gepäckstück aus geprägtem Leder hinter sich her. Es wundert mich nicht, daß sie weint. Sie trägt ein Cocktailkleid, das einem großen, blauen Samtzelt gleicht und eine ganze Horde von Pfadfindern aufnehmen könnte. Jeden Tag eine gute Tat. Wenn der Ostwind stärker bliese, würde sie glatt Segel setzen. Ich würde auch weinen, wenn ich so ein Kleid tragen müßte. Es ist schon schlimm genug, von Emma dieses kleine, juckende, schwarze Samtteil
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