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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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schwanger?« oder gleicherweise »Bist du nicht schwanger?« Denn obwohl Mrs. Groat keine spezielle Meinung darüber hatte, in welchem der beiden Umstände ihre jüngere Tochter sich befinden sollte, waren für sie beide aufs engste verbunden. In den letzten Jahren hatte Snaps mehrere Schwangerschaften durchgemacht; entweder sie läutete Cassidy an und borgte sich hundert Pfund, oder sie ging in ein Heim für ledige Mütter drunten in Bornemouth, wo es ihr gefiel, während Sandra eine inselweite Suche nach dem Vater einleitete. Diese Recherchen waren selten von Erfolg gekrönt; wenn ja, so war der Schuldige allzuoft nicht die Mühe wert gewesen.
    »Du hast dich wohl richtig ausgetobt, was?« fragte Snaps ihn auf den Kopf zu, als sie auf seinem Bett saß und Comics las. »Klein Aldo stellt ganz Paris auf den Kopf, habe gar nicht gewußt, daß du’s in dir hast. Nächstens werde ich an die Reihe kommen.«
    »Nein, das nicht«, sagte Cassidy, der seit Jahren immer wieder darüber nachdachte, ob so etwas wohl Blutschande wäre.
     
    Krebs, sagten die Reinigungsdamen; was wurde dann aus ihnen? Und die arme Mrs. Cassidy, wie würde sie zurechtkommen, ganz allein mit einem so großen Haus?
     
    Bauchwehweh, sagte Hugo. Daddy hat Bauchwehweh und kann nicht zur Arbeit gehen.
    »Ich mag das, wenn du Bauchwehweh hast, Dad.«
    »Ich auch«, sagte Cassidy.
    Sie spielten viel Domino, Hugo gewann immer.
     
    »Er simuliert«, sagte Cassidys Vater, der aufgrund dringenden Geldmangels aus dem Penthouse anrief. »Er hat sein ganzes Leben lang simuliert, ’türlich hat er das. Frag ihn nur nach seinen Krämpfen in Cheltenham. Frag ihn nach seinem Bruch in Aberdeen! Dem Jungen hat im ganzen Leben nie ernstlich etwas gefehlt, der ist so unecht wie eine Sieben-Pfund-Banknote –.«
    »Sie müssen’s ja wissen«, sagte Sandra und knallte den Hörer auf die Gabel.
     
    Ganz im Vertrauen diagnostizierte John Elderman einen leichten Nervenzusammenbruch.
    Er habe es kommen sehen, flüsterte er, aber es war aussichtslos, es verhindern zu wollen; und pumpte um Cassidys Oberarm Gummischläuche auf.
    »Nennen Sie’s psychosomatisch, nennen Sie’s, wie immer Sie wollen, es ist einfach soweit, daß die olle Seele den ollen Korpus aufs Kreuz legt, und der olle Korpus muß tun, was die olle Seele will.«
    »Vermutlich haben Sie recht«, räumte Cassidy mit schwachem Lächeln ein.
    »Irgendwelche Geschichten , alter Freund?« fragte der Arzt und las zum drittenmal ›normal‹ an drei aufeinanderfolgenden Tagen ab.
    »Ein bißchen«, gestand Cassidy und deutete überstandene Anspannungen an, plötzliche Gedächtnisschwächen, wie sie glänzenden Geistern eigen sind.
    Taktvoll nahm Elderman von weiteren Fragen Abstand.
    »Nun«, sagte er statt dessen, »Sie haben ja Sandra, die sich um Sie kümmert, das ist ein Glück, alter Freund. Sie kennt ihren Aldo, wie?«
     
    »Armer Pailthorpe«, seufzte Sandra, hielt seine Hand auf ihrem Schoß und betrachtete ihr erwachsenes Kind mit zeitloser Liebe. »Armer, dummer Pailthorpe, was hast du nur angestellt? Du mußtest doch nicht so dem Geld nachlaufen: Wir kommen schon durch.«
    Es sei die Handelsbilanz, erklärte Cassidy; er habe so verzweifelt gewünscht, den Export zu fördern. Nicht für die Firma Cassidy. Für das Land.
    »Britannien soll wieder oben schwimmen«, sagte er.
    »Du Lieber «, sagte Sandra und küßte ihn nochmals zart, um ihn nicht zu erregen. »Du bist so tüchtig . Und ich bin so träge.«
    Eine Stunde oder länger saß sie bei ihm und betrachtete seine ruhende Statue im gedämpften Licht. Ihr Stillhalten war sehr wohltuend, und Cassidy liebte sie dafür.
     
    Die Krankheit hatte ihn überraschend angefallen. Hatte sich in der Nacht eingeschlichen und ihn mit Tagesanbruch überwältigt. Zuerst war er von einem Alpdruck, danach von Tagträumen heimgesucht worden; Halluzinationen, Dialoge zwischen seinen zahlreichen Charakterpersönlichkeiten. Ihr Thema war Vergeltung. Er schritt durch London, über grasbewachsene, abgeschiedene Plätze und zog gewichtlose Kinder hinter sich her; er schwamm im Bentley die Rue de Rivoli entlang, er steuerte vom Verdeck aus; er raste durch lärmende weibliche Straßen, und plötzlich – es konnte überall passieren – stand er vor einem hohen Berg bei Sainte-Angèle, dem Angelhorn. Zutritt verboten. Umfahren verboten. Ausgang verboten. Ein Berg mit gewundenen, fransigen Zacken. Wildes, auf dem Rücken liegendes Mutterschwein mit schwindelerregenden

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