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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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ab, auf dem sie sitzen.«
    »Dumme Kerle«, sagte Sandra und führte ihn in den Salon. Der umstrittene Sims war montiert. Mit der Vergoldung sah er recht hübsch aus.
    »Mit der anderen Wand fangen sie an, sobald der Gips trocken ist«, sagte sie.
    »Fein.« Sie ist wie ausgewechselt, dachte er, so wie Babys, deren Blut man austauschen mußte. Nur die Außenseite belassen und alles andere ausgewechselt.
    »Entschuldige den Brief«, sagte Sandra.
    »Macht nichts«, sagte Cassidy mit taubem Hirn.
    Schau! Schau! Schau!
    Ein schau für jeden Treppenabsatz. Hugos Bein war aus dem Gips.

London 2

23
    Ungewohnte Stille erfüllt das Haus, und keine Vögel singen.
    Der Flügel ist versperrt. Der Schlüssel hängt weit außerhalb von Hugos Reichweite an einem Haken mit einem unbekannten Florentiner Meister, dessen Wert der alte Niesthal garantiert hat – er macht nur mit Freunden Geschäfte. Der geschnitzte Kamin aus dem achtzehnten Jahrhundert in der Diele, der fertig ist bis auf die Fugenfüllung, ist mit Haverdownschen Staublaken drapiert, ein Denkmal, das nie enthüllt werden soll. Der unvollendete Sims reicht nur bis hierher; die Stukkateure sind weggeschickt worden. Die Fenster an der Straßenfront sind vor dem Verkehrslärm geschlossen, und die Gardinen zur Trauer halb zugezogen. Die Nachbarn in Abalone Crescent wurden um Rücksicht gebeten. Sogar die Putzfrauen, die gewöhnlich ein wichtiges Element in Sandras Umwelt bilden, sind gezähmt. Sie schwirren wie ein Bienenschwarm hinter verschlossenen Türen, und der Tee wird lautlos eingenommen; ihre zahlreichen Kinder sind anderwärts untergebracht. Die österreichische Köchin hat Befehl, bei Strafe der Entlassung, nicht zu weinen, auch nicht, wenn Hugo sie kränkt.
    Und Mrs. Groat spricht zu ihren Abgeschiedenen nur noch in einem Bühnenflüsterton, das in hochfrequenten Bändern in jeden Winkel des Hauses dringt. Um Mittag schrillt ihr Wecker, sie hat ihn in vierzig Jahren nicht davon abbringen können. Das Signal jagt sie im Galopp sechs Treppen hinunter. Einmal irrt sie sich im Anlaß und macht Wasser heiß, und Sandra schilt sie mit unterdrücktem Zorn. Auch das Licht ist rationiert. Ein wachsames Glimmen erhellt die Korridore, die nach Fleischbrühe und Farbe riechen. Hugo spielt im Keller. Popmusik ist verboten. Nur John Elderman ist willkommen. Er kommt zweimal täglich rein privat, ohne Rücksicht auf Sozialismus oder Kostenpunkt.
    Am antiken Schmiedeeisengitter (ebenfalls Sotheby’s, die Kleinigkeit von vierhundert Pfund) wartet in scheuer Ehrfurcht die Presse.
    »Bitte, seien Sie sehr still«, ermahnt Sandra sie würdevoll. »Sobald es etwas mitzuteilen gibt, wird ein ärztliches Bulletin ausgegeben.«
    Aldo Cassidy liegt, von Fieber geschüttelt, allein im Krankentrakt seines teuren Londoner Hauses im Sterben.
     
    Ein Virus, sagte Sandra; ein besonderer Virus, der überarbeitete Menschen befällt.
    Ein französischer Virus, sagte Mrs. Groat, sie hatte ihn in Afrika gehabt, Bunny Sleegos Bruder war innerhalb einer Stunde daran gestorben. Es kam von den Chrysanthemen, sagte sie; sie hatte nie Chrysanthemen im Haus haben wollen, der Blütenstaub konnte tödlich sein. Zusätzlich beschuldigte sie das Londoner Wasser, das auch der Kommandeur mißbilligte.
    »Obwohl er natürlich nicht hier ist und es nicht trinkt. Wir müssen es trinken«, klagte sie. ›Wir‹ war die weibliche Rasse, die abgeschoben wurde, wenn ihre Reize verblüht waren. »Er ist da drunten und trinkt reines Wasser, kein Wunder, daß er gesund ist.« Zur Bekräftigung dieser Theorie schlüpfte sie in Cassidys Krankenzimmer, als Sandra einkaufen gegangen war, und schüttete Chlor in den Ausguß des Waschbeckens.
    »Sag Wiggie nichts, bitte Darling«, bat sie (Wiggie war ein Patronymikon für ihre Tochter), und nachdem sie ihn hastig mit den gefälteten Lippen geküßt hatte, führte sie die Hündinnen nach Primrose Hill spazieren, um sie ruhig und gesund zu erhalten.
     
    »Völlig ausgelaugt«, sagte Snaps bewundernd, Sandras jüngere, aber in sexueller Hinsicht weit erfahrenere Schwester. Sie war von Newcastle heruntergekommen und in die Gästeetage gezogen, wo sie bis spät in die Nacht provozierende Schallplatten abspielte. Das kräftige und lustige Mädchen heiterte gelegentlich Cassidys schwindende Lebensgeister ein wenig auf. »Darling, du bist doch in Ordnung , wie?« pflegte ihre Mutter sie mit entsetztem Flüstern hinter halboffenen Türen zu fragen, was heißen sollte: »Bist du

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