Wachsam
lustig. Helen sagte, es sei ein lausiger Schlitten, und Cassidy sagte, man könne ihm wirklich nicht die Schuld geben. Helen sagte, sie habe geglaubt, er könne ihn fahren, andernfalls wäre sie niemals aufgestiegen; sie wäre zu Fuß gegangen und wenigstens trocken geblieben. Richtige Rodelschlitten seien aus Holz, sagte sie, als Kind habe sie einen gehabt. Wieder hämmerte sie an die Tür, rief »Scheißkerl« durch den Spalt, also schlug Cassidy vor, daß sie etwas trinken und in ein paar Minuten wiederkommen wollten. »Wir können immer noch nach Bristol gehen«, sagte er.
»Wohin?«
»Es war ein Scherz«, sagte Cassidy.
»So herumtrödeln«, sagte Helen verächtlich. »Wenn du mit mir hättest wegfahren wollen , dann hättest du niemals herumgetrödelt.«
Nun ja.
Im Bahnhofsbüfett saß eine Gruppe englischer Damen in blaugestreiften Pullovern am Englischen Tisch. Als sie Helen und Cassidy eintreten sahen, bat eine schöne schlanke Dame mit einem Hörgerät sie herüber.
»Sie alter Sünder «, sagte sie fröhlich zu Cassidy und nahm sein Gelenk in ihre dünne trockene Hand. »Sie haben uns nie gesagt, daß Sie kommen würden. Sie sind ein alter Sünder «, wiederholte sie, als wäre er taub, nicht sie. »Hallo Sandra, meine Liebe, Sie sehen völlig erfroren aus.« Aber Männer waren ihr lieber. »Darling«, fragte sie ihn vertraulich, »haben Sie gehört , was Arnie mit den Meisterschaften vorhat?«
Kochend vor Wut nahm Helen ein Glas Glühwein entgegen und trank es sehr langsam, den Blick starr auf die Uhr gerichtet.
»Er will einen Riesenslalom in Murren veranstalten, mein Lieber, können Sie sich das vorstellen. Nun, ich meine, Sie wissen, was das letzte Mal passiert ist, als wir nach Murren gingen …«
Endlich konnte Cassidy sich losreißen und ging zum Schalterraum zurück. Er war noch immer geschlossen, niemand war in Sicht, und der Schnee fiel noch dichter, er verhüllte die Lichter des Dorfes und warf tiefe Stille über die ganze weiße Welt.
»Angeblich eine halbe Stunde«, berichtete er Helen, die an einen freien Tisch umgezogen war. Es schien nicht angebracht, ihr eine schlechte Nachricht zu bringen, also hatte er einen Hoffnungsstrahl erfunden. »Sie schuften, was sie können, aber im Augenblick ist der Schnee ihnen über.«
Er bestellte nochmals Glühwein.
»Du hast doch deinen Paß?« fragte er in dem Versuch, sie abzulenken.
»Natürlich nicht. Shamus hat ihn verbrannt.«
»Oh.«
»Was meinst du mit: oh . Man kann ein Duplikat ausstellen lassen. Jedes Konsulat oder jede Botschaft kann das erledigen. Wir können nach Bern fahren. Sobald der Zug kommt, falls er je kommt.«
»Wir werden morgen einen besorgen«, versprach Cassidy ihr.
»Und ich brauch’ auch neue Sachen. Dieses ganze Zeug ist patschnaß .«
Sie fing an, in die gefalteten Hände zu weinen.
»O nein«, flüsterte Cassidy. »Oh, Helen, bitte.«
»Was sollen wir tun, Cassidy, was sollen wir tun?«
»Tun?« sagte er beherzt. »Wir tun genau das, was wir uns vorgenommen haben. Wir machen wunderschöne Ferien, dann gehe ich in die Politik, und du wirst die Frau eines Parlamentariers und …«
Vom Englischen Tisch blickte die schöne Dame mit tiefem Mitgefühl herüber. »Bekommt sie ein Baby?« rief sie munter, »da werden sie oft komisch.«
Cassidy schenkte ihr keine Beachtung.
»Es ist die Reaktion«, versicherte Cassidy ihr, hielt ihre Hand und kämpfte um ihr Lächeln. »Tut mir so leid … Aber du bist doch nicht traurig.«
» Entschuldige dich nicht«, sagte Helen und stampfte mit dem Fuß auf. » Du kannst nichts dafür.«
»Doch, gewissermaßen«, beharrte Cassidy. »Und ich habe dich in diese Lage gebracht.«
»Nein. Niemand kann für die Liebe. Sie passiert einfach. Und wenn es soweit ist, dann muß man tun, was sie befiehlt. Es gibt Gewinner und Verlierer. Wie bei allem anderen. Wir sind die Gewinner, das ist alles. Obwohl wir den Zug verpaßt haben.«
»Ich weiß«, stimmte Cassidy zu. »Wir haben Glück gehabt.« Und drückte ihr sein Taschentuch in die Hand.
»Es ist auch nicht Glück.«
»Was ist es dann?« fragte Cassidy.
»Wie soll ich es wissen? Warum hast du so lange gebraucht?«
»Wofür?«
»Zum Jasagen. Es war genau, wie wenn man den Zug verpaßt. Da standen sie allesamt und warteten, und du bist der stürmische Liebhaber und Gott weiß das, und Shamus ist so entgegenkommend, und du kannst nichts als herumtrödeln, während ich dasitze und wie ein kompletter Idiot aussehe,
Weitere Kostenlose Bücher