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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Schnee war in seiner Hose, seinem Nacken, kälter als Wasser, kälter als Furcht; seine Füße waren gefühllos. Er watete bis zu einem Haufen Bohlen, die an ein Blechdach gelehnt waren, der Schnee war abgekratzt, wo jemand hinaufgeklettert war. Zuerst hielt er die Abdrücke für Fingerspuren, gespreizte Finger, und er hatte die verrückte Vision eines Shamus, der Handstand machte, während er versuchte, sich kopfunter zu erschießen. Dann erinnerte er sich, daß Shamus barfuß war und daß er den Zusammenstoß brauchte und ein bißchen Schmerz; und dann sah er ihn rittlings auf dem Bahnhofsdach sitzen und die Turmuhr umarmen, als wäre sie sein letzter Freund, und sehr überlegt auf Cassidy zielen, einen schwierigen abwärtsgerichteten Schuß abfeuern, der gnädig danebenging.
    »Schussipeng!« sagte Shamus.
    »Schussipeng!« pflichtete Cassidy bei.
    »Ich habe einen Schuß gehört! Noch einen Schuß, einen zweiten!« schrie Helen und zerrte an seinem Arm. »Um Gottes willen, Cassidy, hol jemanden, der irgend etwas tun kann!«
    »Er ist dort droben«, erklärte Cassidy und deutete hinauf, »und schießt auf mich.«
    Die Kugel war ganz nah vorbeigestrichen; er hatte den Luftzug oder so etwas gespürt, aber der Schnee machte es ziemlich unwirklich, er fror, und alles war ihm egal.
    Der Schaffner war aus der Tür getreten und brüllte in mütterlichem Französisch. Das Schießen auf dem Bahnhofsgelände sei strengstens verboten, sagte er; und doppelt verboten für Ausländer.
    »Passen Sie auf«, sagte eine Engländerin zu dem Beamten, »sonst erschießt er Sie auch noch.«
     
    Helen kletterte den Holzstapel hinauf.
    »Komm, laß dir helfen«, sagte er automatisch und bot ihr die Hand, aber Shamus kam bereits herunter. Er hatte den Schlafrock um die Taille gewickelt und rutschte auf dem blanken Hintern.
    In geschlossener Formation flohen die englischen Damen.
    »Entschuldige, Lover, hab’ vergessen, wie sie heißt, die mit dem Vorbau.«
    »Maria«, sagte Cassidy.
    »Stimmt, Maria. Ich muß eine Hure haben, verstehst du?«
    »Ich verstehe«, sagte Cassidy.
    Der Schaffner brüllte noch immer. Erzürnt feuerte Shamus eine Salve vor seine Füße, und er rannte zum Büfett und schloß sich Cassidys an der Tür stehenden Müttern an.
     
    Nun standen sie alle drei auf dem Bahnhofsvorplatz, Shamus zitterte in seinem Schlafrock, aber der Schnee war so dicht, daß sie überall hätten sein können; in Paris, in Haverdown oder hier.
    »Muß ein anderes Mal Weltgeschichte machen«, sagte Shamus.
    »Stimmt.«
    »Was meinst du?« fragte Helen. »Was sagst du da?«
    Cassidy fühlte sich verpflichtet, es zu erklären.
    »Es ist gar nichts, Helen. Nur daß die Hauptsache zwischen euch beiden verläuft. Ich bin nur …« Er setzte von neuem an. »Vielleicht läuft sie auch zwischen uns beiden, ihm und mir. Nur … Shamus«, sagte er hoffnungslos.
    »Ja, Lover.«
    »Ich kann es nicht sagen, ich kenne die Wörter nicht. Du bist der Schriftsteller, sag du’s ihr.«
    »Tut mir leid, Lover. Deine Welt: Du mußt es aussprechen.«
    »Du meinst, du liebst mich nicht«, sagte Helen.
    »Nein«, sagte Cassidy, »das ist es auch nicht …«
    »Du liebst die Leitkuh.«
    »Nein. Nein, es ist auch keine Frage der Wahl.«
    »Er liebt mich nicht«, erklärte Shamus sehr schlicht. »Er hat mich verlassen, und mit dir allein kann er nichts anfangen.« Er zerriß den Scheck und streute die Fetzen über den Schnee. »Geldfrage«, erklärte er. »Er ist mit weit geschlossenen Augen hineingelaufen. Ich könnte ihn erschießen, wenn du möchtest«, schlug er Helen galant vor.
    »Mir ist es egal«, sagte Cassidy. »Deine Sache.«
    »Ihm ist es egal«, sagte Shamus.
    »Cassidy!« rief Helen.
    »Der Kampf ist abgeblasen«, sagte Shamus, »also hör auf zu schnüffeln, oder du fängst dir eine. Ich mache mir Vorwürfe, Lover. Ich wollte euch wirklich ziehen lassen. Ich hatte mir alles ausgedacht. Ich wollte auf Doktor studieren, weißt du. Elderberry wollte mir beibringen, wie das geht. Dann sagt dieser Hund, daß es zehn Jahre dauert. Lover, ich hab’ keine zehn Jahre Zeit. Oder?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Schwafelt die ganze Zeit über die Leitkuh, und was für ein Biest sie ist. Der ist das letzte, dieser Elderberry, ein Strolch.«
    »Ich habe ihn auch nie gemocht.«
    »Und seine Alte ist ein Haufen Dreck. Ich kann diese Kläfferinnen nicht ausstehen. Quack, quack, quack und so weiter. Wie die Schweizer Eisenbahnschaffner.«
    Cassidy nickte. »Ich

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