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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Persönliches, etwa die langsame Auszehrung einer liebenden Seele, die bis auf einen kleinen Rest verschlissen wurde?
    »Geld«, sagte Shamus.
    Zuerst konnte Cassidy sein Lächeln nicht wiedererkennen. Es gehörte zu anderen Gesichtern; Gesichtern, die bislang in den Welten, die er und Shamus gemeinsam erforscht hatten, nicht vorhanden waren. Gesichtern, von Not, Mißerfolg und Abhängigkeit geschwächt. Es war ein Lächeln, das anklagte, noch während es flehte; das bei seinem Heraufdämmern bereits heimsuchte, das, ohne sich zu verändern, sowohl Unterwürfigkeit wie Verachtung ausdrückte; ein Lächeln vom Verlierer zum Sieger, nachdem beide das gleiche Rennen um Geld gelaufen waren. Aldo , alter Junge , sagte es; Cassidy , alter Freund . Ein Tausender wäre mir willkommen . Ein unstetes sandiges Lächeln, zu einem guten Anzug getragen, der an den Ärmeln abgestoßen war, und zu einem Seidenhemd mit ausgefranstem Kragen: Schließlich , alter Junge , liefen wir einmal Kopf an Kopf , nicht wahr , ehe du den großen Dusel gehabt hast?
    »Was brauchst du?« fragte Cassidy. Bisher war seine Gewohnheit gewesen, das Minimum festzustellen und dann zu halbieren. »Wir müssen uns nämlich beeilen.«
    »Paar tausend?« sagte Shamus, als wäre das für keinen von ihnen eine große Sache; eine Kleinigkeit, die Freunde unter sich erledigten und dann vergaßen.
    »Sagen wir fünf«, sagte Cassidy und schrieb ihm einen Scheck aus, eilig, wegen des Zuges.
    Er blickte Shamus nicht an, als er ihm den Scheck gab, er schämte sich zu sehr; und er erfuhr nie, was Shamus damit tat, ob er ihn nach Kurts Art wie ein sauberes Taschentuch faltete und wegsteckte oder nach dem Old-Hugo-Verfahren vom Datum bis zur Unterschrift las und dann die Rückseite, für alle Fälle. Aber er hörte ihn das eine Wort murmeln, das Cassidy sich um alles in der Welt hätte ersparen wollen:
    »Danke.«
    Und er wußte, daß er seinen ersten Toten gesehen hatte und daß er all das repräsentierte, was er je noch sehen würde; tote Träume, beendete Leben, Sinnlosigkeit.
    »Komme schon«, rief er zu Helen hinaus.
    »Zahl dir’s eines Tages zurück, Lover.«
    »Eilt nicht«, sagte Cassidy, obwohl in gewissem Sinne Eile geboten war, denn Schweizer Züge sind pünktlich.
    Er kletterte auf den Schlitten.
    »Sie ist an deinem Handgelenk«, rief Shamus ihm nach und meinte die Uhr.
    Er konnte sie unmöglich gesehen haben, denn Cassidy hatte die Manschetten weit heruntergezogen, wie Christopher Robin.
     
    »Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?« fragte Helen. »Seit Stunden sitze ich hier und friere. Schau dir mein Haar an.«
    Eines der Kinder hatte eine Tüte Reis gefunden und warf ihn mit vollen Händen nach dem Schlitten. Der Schnee fiel stetig, die Flocken waren jetzt dicker.
    »Ich hatte meine Uhr verlegt«, sagte Cassidy.
    »Ich würde meinen, einmal müßtest du auch ohne sie auskommen können«, sagte sie. »Wenn du siehst, daß wir ihretwegen den Zug verpassen.«
    Im nächsten Augenblick schob ein Dutzend hilfreicher Hände sie hinein in die Dunkelheit, die fröhlichen »Viel-Glück«-Rufe der Kinder verhallten hinter ihnen, und das glückliche Paar sauste immer schneller hügelab, bereits geblendet von den eisigen Strömen peitschender Schneeflocken.
     
    Der Bahnhof war leer und sehr kalt, und der Zug war unbestreitbar weg. Der nächste könnte Verspätung haben, sagte der Beamte, weit oben fiel eine Menge Schnee.
    »Hier unten auch«, antwortete Cassidy, während er sich vom Schnee säuberte – und auch von der Schuld des Trödelns –, aber der Beamte hatte für Scherze offenbar nichts übrig und gehörte auch nicht zur Sorte der Trinkgeldempfänger. Er war ein stattlicher, derber Mensch, nicht unähnlich Alastair vor tausend Jahren, aber sein steinernes Gesicht war gegen allen Übermut gefeit.
    »So frag ihn doch, wieviel Verspätung«, gebot Helen ihm.
    Der Beamte machte keine Miene, die Frage zu beantworten oder die Antwort zu verweigern. Er starrte Helen nur eine ganze Weile an, legte den Riegel vor und sicherte ihn von innen.
    » Wieviel Verspätung? « schrie Helen und hämmerte an die kleine Tür. »Dieser Hund , sieh dir das an.«
    Auf der Abfahrt hatten sie mehrere Stürze getan; Cassidy errechnete fünf. Beim ersten Mal fanden sie es beide lustig; beim zweiten Mal öffnete sich der Koffer, und Cassidy mußte wie ein Arktisforscher durch den fallenden Schnee tappen und Sandras Kleider zusammensuchen. Danach waren die Stürze gar nicht mehr

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