Wachsam
Geheiß .
»Bei den Eldermans.«
Sie sprach mit unendlicher Geduld, melancholischer Hinnahme eines unergründlichen Mysteriums. Die Eldermans waren der Arzt und seine Frau, muntere perfide Leute und Sandras beste Verbündete.
»Das war aber nett«, sagte Cassidy herzlich. »Sind wohl ins Kino gegangen. Was haben sie sich angesehen?«
»Ich weiß nicht. Sie wollten nur zusammen sein.«
Sehr steif spielte sie eine absteigende Tonleiter. Sie endete sehr tief und der Afghane knurrte unbehaglich.
»Entschuldige«, sagte Cassidy.
»Weswegen?«
»Wegen Hugo. Ich war so beunruhigt.«
»Worüber beunruhigt?« fragte sie stirnrunzelnd. »Ich verstehe wirklich nicht.«
Der Tag , Herr , den Du gäbst , hat sich geneigt .
Im Herzen war Cassidy bereit, sich in allem schuldig zu bekennen – menschliche Verbrechen standen für ihn außerhalb jeder Logik, und er ließ bereitwillig gelten, daß er sie alle begangen hatte. Ein lautes Bekenntnis hingegen war ihm peinlich und widersprach seinen Ansichten über gutes Benehmen.
»Also«, begann er zögernd, »ich habe dich hintergangen. Ich war mit ihm bei einem Facharzt.« Da er nicht einmal eine Antwort erhielt, geschweige eine Absolution, fuhr er ein wenig entschiedener fort: »Ich dachte, wir hätten uns die letzten acht Tage ausschließlich darüber gezankt.«
Das Dunkel sinkt auf Dein Geheiß .
Mit einem Geräusch wie von überschwappendem Wasser begann der Afghane an der Vorderpfote zu kauen und versuchte, an etwas heranzukommen, das tief in der Haut steckte.
»Laß das!« bellte Sandra; und zu Cassidy: »Zanken wir uns? Das kann ich nicht glauben.«
Der Afghane hörte nicht auf sie.
»Na, das ist ja fein«, sagte Cassidy. Und da er aufkeimenden Ärger fühlte, ließ er sich von dem Hymnus beschwichtigen, von beiden Zeilen.
»Wo ist Heather?« fragte er.
»Mit einem Freund ausgegangen.«
»Ich wußte gar nicht, daß sie einen hat.«
»O doch.«
Der Tag , Herr , den Du gabst , hat sich geneigt .
»Ist er nett?«
»Er tut alles für sie.«
»Na, das ist ja fein.«
Das Loch in der Wand führte in einen Raum, der einst ein Studierzimmer gewesen war. Es war geplant, die beiden Räume zu verbinden, was, wie sie übereinstimmend meinten, der ursprünglichen Absicht des Architekten entsprach.
»Was hat der Facharzt gesagt?« erkundigte sie sich.
»Er hat nochmals eine Serie von Röntgenaufnahmen gemacht. Er will mich morgen anrufen.«
»Gib mir dann Bescheid, ja?«
»Tut mir leid, daß ich dich hinterging. Es war … die Aufregung. Ich mache mir große Sorgen um ihn.«
Sie spielte eine weitere langsame Tonleiter. »Natürlich«, sagte sie, als schicke sie sich ins Unvermeidliche. »Du hast deine Kinder sehr gern. Das weiß ich. Und das ist ganz natürlich, warum entschuldigst du dich? Hast du ein gutes Jahr hinter dir?« fragte sie höflich. »Im Frühling zählst du doch immer dein Geld, nicht wahr?«
»Annehmbar«, erwiderte Cassidy vorsichtig.
»Das heißt, du hast große Gewinne gemacht?«
»Nun ja, vor Abzug der Steuern, weißt du.«
Sie klappte ihr Instrument zu, ging zu dem hohen Fenster und starrte auf Dinge, die er nicht sehen konnte.
»Gute Nacht, Darling«, rief ihre Mutter vorwurfsvoll von oben.
»Ich komme gleich hinauf«, sagte Sandra. »Hast du eine Abendzeitung gekauft?«
»Nein, nein leider nicht.«
»Oder zufällig Nachrichten gehört?«
Er überlegte, ob er ihr von Flaherty erzählen solle, entschied sich aber dagegen. Religion gehörte zu den Themen, über die sie vereinbarungsgemäß nicht sprachen.
»Nein«, sagte er.
Sie sagte nichts mehr, sondern seufzte nur, also fragte er schließlich:
»Was für Nachrichten?«
»Die Chinesen haben ihren eigenen Satelliten gestartet.«
»Ach du lieber Gott«, sagte Cassidy.
Die Welt der Politik bedeutete keinem von ihnen etwas, davon war Cassidy überzeugt. Wie eine tote Sprache bot sie die Gelegenheit, auf einer bestimmten Lernstufe die Bedeutung der eigenen zu studieren. Sprach sie über Amerika, so zog sie gegen sein Geld zu Felde, und Cassidy gab ihr dann in gleicher Münze, will heißen mit einer Bemerkung über die Entwertung des Pfundes heraus; sprach sie über die Armut in der Welt, so spielte sie auf die ersten Jahre ihrer Ehe an, als ein schlankes Budget sie zu selbstloser Einfachheit angehalten hatte. Sprach sie über Rußland, ein Land, für welches sie tiefste Bewunderung kundtat, so wußte er, daß sie sich nach den schlichteren leidenschaftlichen Gesetzen eines
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