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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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kann es nicht auf mich abgesehen haben, dachte er; er ist nur ganz allgemein andersartig, bestimmt nichts Gezieltes.
    »Wie steht’s?« erkundigte Kurt sich und senkte die Stimme bei dieser intimen Frage.
    »Na ja … Sie wissen ja. Auf und ab. Zur Zeit eher ab. Sie lernt wieder Klavierspielen.«
    »Ah«, sagte Kurt. Ein kurzes tadelndes Ah . Ein Hündchen hat auf meinen Plüschteppich gemacht. »Ist sie begabt?«
    »Nicht sehr.«
    »Ah.«
    Ein winziges Schweizer Licht blinkte von seinem Schreibtisch. Er blies es aus.
    »Es ist nur …« fuhr Cassidy fort, »es ist nur, wir sprechen nicht miteinander. Höchstens über wohltätige Stiftungen und so. Wie steht’s mit meiner wohltätigen Stiftung … Sie wissen doch.«
    »Klar«, sagte Kurt. Das Lächeln schlitzte die bleichen Polster seiner Wangen. »Mein Gott«, bemerkte er gleichmütig. »Das Klavier, was?«
    »Das Klavier«, echote Cassidy. »Und Sie, Kurt?«
    »Ich?« Die Frage kam ihm überraschend.
    In der Schweiz, dachte Cassidy, gibt es viele Selbstmorde und Ehescheidungen; manchmal schien Kurt die Erklärung für beides zu sein. Kurt hatte einen silbernen Kugelschreiber. Er lag wie ein silbernes Geschoß auf seinem Glasfiber-Schreibtisch. Nun hob er ihn auf, beäugte lange Zeit die Spitze, suchte nach Fabrikationsfehlern.
    »Danke, mir geht’s gut.«
    »Großartig.«
    »Kann ich sonst noch irgend etwas für Sie tun, Cassidy?«
    »Ja, wenn Sie fünfhundert hinkriegen könnten?«
    »Kein Problem. Zu zehn für ein Pfund, okay? Wir machen Sie um ein paar Centimes leichter.«
    »Ich gebe Ihnen einen Scheck«, sagte Cassidy und stellte mit Kurts Kugelschreiber einen Barscheck aus.
    »Verstehen Sie«, sagte Kurt, »ich möchte keine Kritik an Ihrer Regierung üben, aber diese Verordnungen sind irre.«
    »Ich weiß.«
    Old Hugo ließ sie offen zur sofortigen Vorlage, Kurt hingegen faltete alle seine Schecks, er hielt sie, wie ein Spieler seine Karten hält, sammelte sie in der einen Hand und zog sie mit Daumen und Zeigefinger heraus.
    »Warum ändert ihr sie dann nicht?« fragte er.
    »Ja, das sollten wir tun, nicht wahr? Ein typisch englischer Unfug, leider. Vorschriften gehören zu unserer Tradition. Wir machen sie, dann verlieben wir uns in sie.«
    Der Ausdruck lähmte Kurt für mehrere chronometrische Sekunden.
    »Verlieben?« wiederholte er.
    »Bildlich gesprochen.«
    Kurt begleitete ihn zur Tür. »Bitte grüßen Sie sie von mir.«
    »Gern. Vielen Dank. Übrigens, ich weiß nicht, ob Sie die englischen Zeitungen lesen, aber da ist ein Süd-Ire, der behauptet hat, er sei Gott. Nicht der neue Christus, wie es scheint, sondern Gott.«
    Kurts Stirnrunzeln war so unmerklich wie ein ausradierter Bleistiftstrich.
    »Süd-Irland ist katholisch«, sagte er.
    »Das stimmt.«
    »Ich bin leider evangelisch.«
    »Gute Nacht«, sagte Cassidy.
    »Gute Nacht«, sagte Kurt.
     
    Eine Stunde lang oder länger fuhr er in Taxis dahin und dorthin. Manche rochen nach Old Hugos Zigarren, andere nach dem Duft von Frauen, die er liebte, aber nie gesehen hatte. Es war dämmerig, als er nach Abalone Crescent kam, und in den Nachbarhäusern rechts und links brannten die Lampen. Er ließ das Taxi halten und ging die letzten hundert Meter zu Fuß, und Abalone Crescent sah aus wie an jenem Abend, als sie es zum erstenmal gesehen hatten, ein Schatzkästlein voll pastellfarbener Türen und altmodischer Kutschenlaternen, gebundener Bücher, Schaukelstühle und glücklicher Paare.
     
    Du kannst jedes von diesen dreien haben . Das da , das da , das da . »Wir wollen sie alle nehmen«, sagte Sandra und hielt seine Hand, während sie im Regen standen. »Lorks, Pailthorpe« – sie gebrauchte ihre Spielnamen und drückte seine Hand – »mit wem sollen wir denn all die vielen Zimmer füllen?«
    »Wir werden eine Dynastie gründen«, sagte Cassidy stolz. »Wir werden die Griechen sein, die Minoer, die Römer. Mengen kleiner Pailthorpes, fett wie Butter. Jawoll.«
    Wollhandschuhe trug sie und ein Wolltuch auf dem Kopf, das ganz durchnäßt war, und der Regen lief ihr übers Gesicht wie Hoffnungstränen.
    Dann werden die Zimmer nie ausreichen , sagte sie stolz, weil ich nämlich ganze Würfe in die Welt setzen werde , zehn Stück auf einmal , wie Sal-Sal . Bis man auf den Treppen über sie stolpert . Jawoll . Sal-Sal war eine Labradorhündin gewesen, ihre erste, und jetzt tot. Sie hatte die Gardinen früh zugezogen, als fürchtete sie sich vor dem Sterben eines jeden Tages. Als sie jung gewesen

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