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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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kernigeren Sexuallebens sehnte, nach einem Niemandsland, wo Cassidys Raffinessen aufs neue einer Inbrunst weichen müßten, die er nicht mehr für sie empfand.
    Erst in jüngster Zeit jedoch hatte sie sich auf das Gebiet der Landesverteidigung geworfen. Da er nicht recht wußte, worauf sie hinauswollte, wählte er einen jovialen Ton.
    »War er gelb?«
    »Welche Farbe er hat, weiß ich leider nicht.«
    »Na, ich wette, es war eine Pleite«, sagte er.
    »Es war ein voller Erfolg. Jodrell Bank hat das chinesische Bulletin bestätigt.«
    »O Gott, das wird allerhand Staub aufwirbeln, was?«
    »Ja. Ich vergesse immer wieder, wieviel du für Sensationen übrig hast.«
    Sie hatte sich dem Fenster genähert. Ihr Gesicht, das ganz nah an der Scheibe war, schien von der Dunkelheit erhellt, und ihre Stimme war so einsam, als spräche sie von verlorener Liebe. Als habe sich der Tag, den Du ihr gabst, Herr, schon geneigt.
    »Es ist dir doch bekannt, nicht wahr, daß das Pentagon in seiner Einschätzung eines Kriegsrisikos einen jährlichen Zuwachs von zwei Prozent vorsieht?« Mit der Spitze ihres kleinen Fingers zeichnete sie ein Dreieck und kreuzte es aus. »Das gibt uns höchstens noch fünfzig Jahre.«
    » Uns nicht«, sagte er und bemühte sich noch immer um einen heiteren Ton.
    »Ich meinte die gesamte zivilisierte Menschheit. Unsere Kinder, falls du sie vergessen haben solltest. Nicht sehr komisch, oder doch?«
    Unter dem Flügel erwachten zwei Katzen, die bis jetzt in friedlicher Umarmung geschlummert hatten, und begannen zu fauchen.
    »Vielleicht ändert sie sich«, schlug er vor. »Vielleicht sinkt sie wieder; wäre möglich. Wie die Börsenkurse.«
    Mit einem Schütteln ihres dunklen Haares verwarf sie jegliche Chance eines Überlebens.
    »Und selbst wenn sie nicht sinkt, können wir wenig daran ändern, oder?« fügte er unbesonnen hinzu.
    »Dann wollen wir nur immer weiter Geld machen. Es wird nett sein für die Kinder, wenn sie reich sterben. Sie werden uns dafür dankbar sein, meinst du nicht?« Ihre Stimme war um einen Ton schriller geworden.
    »O nein «, sagte Cassidy, »das meine ich natürlich nicht. Mein Gott, du stellst mich als eine Art Unmenschen hin …«
    »Aber du willst dich nicht bereit finden, etwas zu tun , nicht wahr? Keiner von uns will es.«
    »Nun ja … die Jugendklubs … die Spielplätze … der Cassidy Trust … ich meine, leider ist das alles noch nicht verwirklicht , aber das wird kommen, ganz bestimmt.«
    »Bestimmt?«
    »Selbstverständlich! Wenn ich weiter so schwer dafür arbeite. Und du mich dazu ermutigst. Schließlich waren wir in Bristol hübsch nahe dran.«
    Wenn du an Gott glaubst, so argumentierte er, dann kannst du wohl auch ein paar simple kleine Lügen wie die meinen glauben! Sandra, du brauchst den Glauben. Der Zweifel steht dir schlecht an. »Wie dem auch sei«, sagte sie, »der Krieg wird kaum abgewendet werden können durch einen Spielplatz. Nun ja.«
    »Und wie steht’s mit dir? Biafra … die Wermut-Brüder … Vietnam … Oxfam … Denk an die Griechenland-Petition, die du unterschrieben hast … Du mußt doch einiges Gute tun …«
    »Wirklich?« fragte sie vom nebelverschleierten Fenster her, während die Tränen über ihre kindlichen Wangen liefen. »Du nennst das tun? Tun nennst du das?«
    Unwillkürlich hatte er sich in Bewegung gesetzt, sich am Flügel vorbeigequetscht und ihren unvertrauten Körper in die Arme genommen. Ratlos hielt er sie fest, während sie weinte, er empfand nichts als Traurigkeit, an der er nichts ändern, und Leere, die er nicht ausfüllen konnte, ähnlich dem Hunger des schreienden Kindes auf dem Flügel.
    »Bring ihn nur zu einem Spezialisten«, sagte sie schließlich und ließ ihren Kopf auf seine Schulter rollen, und die Tränen liefen immer noch, »es macht mir nichts aus. Bring ihn zu so vielen, wie du willst. Du bist der Kranke, nicht er.«
    »Schon gut«, flüsterte Cassidy und tätschelte sie. »Der Spezialist war um kein Haar besser als John Elderman. Ehrlich. Nur ein alberner alter Quasselgreis, mehr war nicht dran. John wird ihn behandeln. Ja, John. Und er wird es erstklassig machen, du wirst schon sehen.«
    Er hielt sie noch eine Weile fest, bis sie sich sanft loswand und aus dem Zimmer ging und ihren langen Rock nachschleifte wie Ketten. Als sie die Tür öffnete, strömten hinter ihr die Töne aus dem Radio ihrer Mutter herein, Tanzmusik aus der Zeit zwischen den Kriegen. Die Tiere blickten ihr nach.
     
    Am nächsten Morgen

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