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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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kannte, mochte seine Bewegungen ein wenig vage finden; sein polnischer Akzent, soweit Cassidy ihn hören konnte, bekam gelegentlich einen leicht irischen Einschlag, doch sein Zauber war nie zwingender gewesen.
    Der Minister war besonders beeindruckt.
    »Wenn nur mehr Leute wie Sie sich um den Osten kümmern wollten«, quäkte er. »Wer ist sie?«
    »Sehr würdig«, lobte die Ministergattin. »Gäbe eine fabelhafte Diplomatenfrau ab, sogar in Paris.«
    »Sie ist sternhagelvoll«, warnte Shamus ihn, en vol zwischen zwei bewundernden Ehefrauen. »Wenn wir sie nicht rausschaffen, knallt sie auf den Hintern.«
    »Geben Sie sie mir«, sagte Cassidy.
    Ihr gesamtes Lebendgewicht lastete auf ihm, als er stracks aus dem Saal marschierte.
    »Da«, hörte er McKechnie sagen, »das ist der Kerl, der meinen Stand umgetreten hat. Glatt umgetreten und zum jungen Stiles gesagt, unsere Faltdächer wären Scheißdreck. Er ist kein Ausländer, er ist Ire!«
     
    » Tour d’Argent «, sagte Shamus. Sie standen auf dem Bürgersteig und blickten dem abfahrenden Taxi des Mädchens nach. Shamus wirkte leicht zerzaust, als wäre er von mehreren Personen zugleich herumgestoßen worden.
    »Shamus, muß das sein?«
    »Lover«, sagte Shamus und hielt seinen Unterarm mit eisernem Griff fest, »ich bin nie im Leben hungriger gewesen.«
     
    »Auf den Anzug«, sagte Shamus.
    »Auf den Anzug«, sagte Cassidy.
    »Gott segne ihn und alle, die darin schiffen.«
    »Amen.«
    Wieder einmal hatte das Unvorhersehbare sich als die Regel erwiesen. Cassidy hatte mit den düstersten Ahnungen um seinen Ecktisch gebeten. Er wußte nicht, wieviel Shamus getrunken hatte, aber er wußte, daß es eine Menge gewesen war, und er fragte sich ernstlich, ob er ohne Helens Hilfe mit ihm fertig werden würde. Er wußte nicht, ob im Tour d’Argent schon einmal jemand ›Hosenknopf‹ gespielt hatte, aber er konnte sich ziemlich genau vorstellen, was passieren würde, wenn sie es versuchten. Im Taxi hatte Shamus eines seiner kurzen Nickerchen gehalten, und Cassidy hatte ihn vor den Augen des Portiers wecken müssen.
    Nun waren sie wider alles Erwarten im Paradies: Old Hugos Paradies, mit Speisen und Kellnern, mit dem Wohlgeruch von Engeln und himmlischen Blumen.
    Brillanten umgaben sie: hingen in Riesentrauben in den Fensterscheiben, sprenkelten den orangefarbenen Nachthimmel, schmückten die Augen von Liebenden und die braune Seide von Frauenhaaren. Cassidy hörte nur noch die Töne von Kampf und Liebe, das Flüstern schmachtender Paare und das ferne Wetzen eines Messers. Schwindel ergriff ihn, stärker als in Haverdown, stärker als in Kensal Rise. Von allen Orten, die er je besucht hatte, war dies der erregendste, der berauschendste. Und das schönste war Shamus’ Gesellschaft. Etwas – der Drink, das Mädchen, seine Eroberung der Gesandtschaft, der Zauber der Stadt –, etwas hatte Shamus befreit, beruhigt und besänftigt und jung gemacht. Er war entflammt und doch friedvoll, er war unwahrscheinlich nüchtern.
    »Shamus.«
    »Was gibt’s, Lover?«
    »Das«, sagte Cassidy.
    Shamus’ Augen lagen im Schatten hinter dem Kerzenlicht, doch Cassidy konnte sehen, daß er lächelte.
    »Shamus, was Sie getan haben, war wunderbar. Einfach fantastisch. Sie glaubten wirklich an Sie … mehr als an mich. Sie hätten ihnen alles erzählen können, einfach alles, was Sie wollten. Sie könnten meinen ganzen Laden mit der linken Hand schmeißen.«
    »Großartig. Und Sie meine Bücher schreiben.« Auch darauf tranken sie.
    »Ich wollte, Helen wäre hier«, sagte Cassidy.
    »Macht nichts, Lover, wir finden eine andere.«
    »Wie ist das, wenn man mit jemandem wie Helen verheiratet ist? Mit jemandem, den man wirklich liebt?«
    »Raten Sie mal«, sagte Shamus, aber Cassidy, der für solche Dinge ein Ohr hatte, fühlte, daß er es besser unterließe.
    Shamus sprach.
    Über Kerzen, Kelche und Schüsseln hinweg sprach er, von der Welt und ihren Reichtümern. Er sprach von der Liebe und von Helen und der Suche nach Glück und dem Geschenk des Lebens, und Cassidy lauschte wie ein Lieblingsjünger jedem Wort und erinnerte sich an fast nichts als an sein Lächeln und die berückende Zärtlichkeit seiner Stimme. Helen ist unsere Kraft; wir reden, aber Helen handelt. Helen ist unsere Konstante; wir kreisen, aber sie steht still.
    »Ich habe nie eine Frau wie sie gesehen«, gestand Cassidy. »Sie könnte sein … sie könnte sein …«
    »Sie ist «, korrigierte Shamus ihn. Helen hat keine

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