Wachsam
Pult und las daraus vor schlafenden Paaren, die im Dunkeln atmeten. Inder, weiße Mädchen murmelten Beifall. Er las sehr leise, so daß Cassidy, selbst wenn er gewollt hätte, die Worte nicht hätte hören können, doch er wußte aus ihrem Rhythmus und ihrer Kadenz, daß es die schönsten Worte waren, die er je gehört hatte, schöner als Shakespeare oder Kahil Gibran oder das deutsche Oberkommando; und er saß allein mit halbgeschlossenen Augen und ließ sich von ihnen durchdringen wie von der Sprache der Liebe, und sein Stolz kannte keine Grenzen, sein Besitzerstolz, sein Schöpferstolz, sein Liebesstolz.
»Shamus, bleiben wir hier. Bitte bleiben wir hier.«
»Negativ.«
»Und was ist mit ihr? « – denn Shamus hatte eine junge Frau gefunden, und er streichelte zärtlich ihre Brust unter dem Kleid. »Nichts zu machen«, sagte Shamus. »Es ist ihr Haus. Sein Haus«, berichtigte er und wies auf ihren Mann.
Der Amerikaner gab beiden noch einen Whisky. Er war ein stattlicher, freundlicher Mann, sehr kampflustig in seiner Sympathie und ein scharfer Gegner jeglicher Aggression.
»Schert euch zum Teufel«, riet er ihnen. »Trinkt noch einen, und dann raus mit euch.« Und zu Cassidy: »Ich schlag’ ihn zusammen. Ein großartiger Bursche, aber bringen Sie ihn weg.«
»Natürlich«, sagte Cassidy. »Sie waren sehr freundlich.«
In einer hellerleuchteten Kneipe, wo sie Chartreuse tranken, weil Shamus sagte, er töte am schnellsten, und ihre Augen vor dem Neonlicht schützten, fanden sie ihre erste Nutte.
»Shamus, warum leben Sie so allein, wenn alle Welt Sie so liebt?«
»Muß in Bewegung bleiben«, sagte Shamus vage. »Darf nicht stillstehen, Lover. Sie würden mich genau zwischen den Augen erwischen. Zwanzig Jahre her, seit ich dieses Buch geschrieben habe.« Sein Blick war zu dem Mädchen geschweift. Ein dunkles Mädchen, hübsch, aber herb; Angie Mawdray, die um Gehaltserhöhung nachsucht. Eine Weile studierte er sie schweigend, dann hob er langsam sein Glas in ihrer Richtung. Ohne zu lächeln kam sie zu ihm. Der Barmann blickte nicht einmal auf, als sie gingen.
18
Der treue Knappe saß auf dem Randstein und wartete, daß sein Herr vom Kreuzzug zurückkäme, er blickte auf den Fluß und träumte von der vollkommenen Liebe. Von großen Betten, die für ihn und Shamus bereitet wären, und von dem dunkeläugigen Mädchen, von lichterbehangenen Hausbooten voller nackter Körper, die niemals Fett ansetzten und nie müde wurden. Weißen Booten, die einem Hollywoodhimmel voll nie erlöschendem Morgenrot entgegentrieben, sich zur Musik Frank Sinatras wiegten.
Weißt du , Hug , für Shamus und die Franzosen ist das etwas anderes . Sie lieben die Menschen , weil sie an die Liebe glauben , nicht weil sie an die Menschen glauben . Ist das klug , Hug? Sie lieben aus Freude an der Liebe , nicht weil sie sich vor dem Alleinsein fürchten .
»Ich brauche Geld«, sagte Shamus.
Er schwankte ein wenig, und sein Gesicht strahlte.
»Wieviel?«
Shamus nahm hundert Franc entgegen.
»Das Aushändigen von Geld«, belehrte Cassidy ihn voll Genugtuung, »ist eine eminent sexuelle Transaktion.«
»Schnauze«, sagte Shamus.
»War das Liebe?« fragte Cassidy, als sie sehr langsam weitergingen.
»Die unsere währet ewiglich«, sagte Shamus mit seinem alten Lächeln und legte den Arm um Cassidys Schulter.
»Lover.«
»Ja.«
»Geh bald. Paris stinkt.«
»Okay«, sagte Cassidy lachend. »Wohin du willst.«
Schnell jetzt, und verärgert, mit großen Mengen Alkohol intus. Der junge Knappe müht sich, Schritt zu halten mit seinem suchenden, irrenden Gebieter. Seine Füße brennen in den dünnen Stadtschuhen, als die beiden Männer die lange steinerne Treppe hinaufeilen. Über ihnen reckt die weiße leuchtende Kuppel ihre einzige Brust in den sternhellen Himmel. Laternen, Fenster locken, doch der Gebieter strebt nur einem Hause zu, einem grünen Haus, es hat eine grüne Tür. Sie biegen um eine Ecke; die Stufen lenken sie um eine Ecke, und plötzlich sind überhaupt keine Häuser mehr da, nicht einmal ein Geländer für den schwindeligen Jünger, nur das tiefe Schwarz einer Höhle und darüber verstreut die Lichter von Paris über die Wände, die Decke und den Fußboden, wie die Schätze begrabener Könige. Doch Shamus hat keinen Blick für den Zauber, die Vergangenheit ist sein Feind, sein eigener neuer Vatikan liegt vor ihm. Er läuft fast, stürmt immer weiter die endlose Treppe hinauf, sein Gesicht ist naß, wenn die
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