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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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Doctores, Advokaten und Jaguarfahrer, die in schwarzen mechanischen Geschwadern auf sie zudonnerten; während sie irgendwo in England, auf den letzten Einsatz wartend, sinnlastige Elegien kritzelten und friedliebende Verse schmiedeten.
    Solche Männer überlebten per Definition eher im Verheißenen als im Vollbrachten; und die Achtung der Nachwelt gilt dem, was sie ungetan ließen.
    Und sie nahmen viel, denn bald schon wurden sie selber genommen. »Wer kann über das Leben schreiben und zugleich vor ihm fliehen?« wollte Shamus wissen.
    »Niemand«, sagte Cassidy.
     
    Von diesem Geschwader war Shamus in jener Nacht und in allen folgenden Nächten der einzige Überlebende. Cassidy glaubte es. Er wußte, er würde es immer glauben, denn auf irgendeinem Weg hatte Shamus sich in jener Nacht und für immer in seine Kindheit eingeschlichen und würde dort bleiben wie ein geliebtes Haus oder ein bewunderter Onkel. Und Cassidy selber war ihr Knappe, briet ihren Speck, trug ihnen die Helme und wichste ihre pelzgefütterten Stiefel blank; gab ihre letzten Briefe zur Post und brachte ihre Ringe den Helens zurück, wischte ihre Namen von der Tafel, wenn sie Bruch machten.
    »Shamus«, sagte Cassidy viel lauter – sie ruderten irgendwo, jeder einen Riemen –, »ich werde immer da sein, wenn Sie mich brauchen.«
    Er meinte es aufrichtig. Es war ein Versprechen, verbindlicher für ihn als die Ehre, denn es war eine Idee, und eine, die er mit Shamus’ Hilfe in dieser Nacht selber gefunden hatte, in dieser Nacht, im Tour d’Argent in Paristown.
    »Warum weinen Sie?« fragte Cassidy, als sie gingen.
    »Aus Liebe«, sagte Shamus. »Sie sollten’s mal probieren.«
     
    »Wer ist Dale?«
    »Wer?«
    Sie hatten einen Wagen zum 7. Bezirk genommen, wo Shamus Freunde hatte.
    »Dale. Sie sprachen im Schlaf von ihm. Nannten ihn ein gemeines Aas.«
    »Er ist ein gemeines Aas.«
    Shamus’ Kopf hob sich regungslos vom Fenster ab, doch die Lichter der Straße spielten darüber wie Goldmünzen, hoben ihn und schoben ihn zurück, so daß seine Silhouette passiv wirkte wie die eines Mannes, der sich nicht gegen die Außenwelt wehren kann.
    »Warum haun Sie ihn dann nicht in die Pfanne?«
    »Weil er mich zuerst gehauen hat, und solche Leute sind nicht zu schlagen.«
    »Hat er Sie geliebt?«
    »Ich nehme es an.«
    »Genausoviel wie …«
    Shamus streckte beide Hände aus und ergriff Cassidys Hand. »Nein, Lover, nicht wie Sie«, versicherte er ihm zärtlich, drehte die Hand um und küßte die Innenfläche. »Nicht so, wie Sie es lernen werden. Sie werden der Beste sein. Nummer Eins. In der ersten Reihe. Ehrenwort.«
     
    Ein Instinkt gebot ihm, es zu sagen. Ein Augenblick tiefster Einfühlung, prophetischer Angst.
    »Shamus … Sie sind der größte Schriftsteller unserer Zeit. Das glaube ich. Ich bin sehr stolz.«
    Das Gesicht war von ihm abgewandt, sehr schön und scharf vor der Nacht, vor dem glitzernden Band der Straße.
    »Sie beurteilen mich falsch, Lover«, flüsterte Shamus und schob sanft seine Hand weg. »Ich bin nur ein verhinderter Geschäftsmann.«
     
    Sie waren noch immer im Paradies, sie fuhren nach Paris.
    Nicht Cassidys Paris aus zischenden Vakuumtüren und miserablem amerikanischem Akzent, sondern Shamus’ Paris aus Hydranten und Kopfsteinpflaster und Gemüseabfällen und Türen ohne Namen; ein Paris, das Cassidy nicht einmal im Traum kannte, auch nicht erträumt hatte, denn es stillte Gelüste, von denen er nicht gewußt hatte, daß er sie besaß, und zeigte ihm Leute, die er sich nie hatte vorstellen können; entspannte, vergnügte Leute von überirdischer Weisheit, die ernsthaft Shamus’ Hand schüttelten, ihn maître nannten und nach seiner Arbeit fragten. Sie gingen zu Saint Sulpice, zu einem Platz voller Buchläden, durch eine dunkle, mit lärmender Musik erfüllte Passage zu einer Tür, die direkt in einen Lift führte, und sie tauchten mitten in einem Meer von Geplapper und lachenden Mädchen auf und Männern mit offenen Hemden und Halsketten.
    »Sie lieben Sie, Shamus«, flüsterte Cassidy ihm zu, während sie Whisky tranken und Fragen über London beantworteten. »Schauen Sie sich an«, sagte Cassidy immer wieder, »Sie sind berühmt .«
    »Ja«, sagte Shamus ohne Bitterkeit. »Sie haben ein gutes Gedächtnis.«
    Sie gingen zu einer Insel, zu einem hohen grauen Haus, das einem Amerikaner gehörte, und jemand gab Shamus sein eigenes Buch mit der Bitte um ein Autogramm. Moon , eine Erstausgabe, und er stand an einem

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