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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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über das Innere des Vorbaus und verschaffte Cassidy zum erstenmal einen Blick auf seinen Inquisitor. Er war, wie Cassidy bereits vermutet hatte, ein sehr gut aussehender Mann. Wo Cassidy sich wölbte, war der andere glatt. Wo Cassidy schwach war, war der andere resolut; hier kompromißbereit, dort feurig; wo Cassidy Flüssigkeit war, war der andere Fels, und wo er blaß und blond war, war sein Widerpart dunkel und jäh und eifrig. Aus einem gutgeschnittenen Gesicht leuchteten dunkle Augen von großer Lebhaftigkeit; ein gälisches Lächeln, zerstörerisch und wissend zugleich, erhellte seine Züge.
    So weit, so gut. Indes gab Cassidy den Versuch nicht auf, den Mann einer der sozialen gesellschaftlichen Kategorien zuzuordnen, in die unsere Welt natürlicherweise eingeteilt ist, und er lenkte sein Augenmerk nun auf die Kleidung. Der Mann trug ein schwarzes Jackett von der Machart, wie sie von ehemaligen Indien-Offizieren bevorzugt wird, ein Mittelding zwischen Smoking und Waffenrock, jedoch mit einer deutlichen orientalischen Note im Zuschnitt. Er war barfuß, und die untere Körperhälfte war in ein rockähnliches Gebilde gehüllt.
    »Herrje«, sagte Cassidy unwillkürlich, und er war drauf und dran, eine weitere Entschuldigung vorzubringen, etwa: ›Mein Gott, Sie saßen gerade in der Badewanne‹; oder ›Wirklich unverzeihlich von mir, ich hab’ Sie aus dem Bett geholt‹, als die Laterne abrupt von ihm abschwenkte und sich auf den Wagen richtete.
    Hier war die Lampe höchst überflüssig. Die helle Karosserie hob sich deutlich gegen das Dämmerlicht ab – ein Sicherheitsfaktor, der Cassidy natürlich bekannt war –, doch der Inquisitor benutzte die Lampe dennoch, vielleicht weniger zum Sehen, als vielmehr um die reinen Konturen mit langsamem, liebevollem Strahl abzustreichen, genau wie er kurz zuvor den Eigentümer studiert hatte.
    »Gehört Ihnen, Lover?«
    »Ganz recht, mir.«
    »Gehört Ihnen richtiggehend? Ganz und gar?«
    Cassidy lachte heiter, er witterte eine zarte Anspielung auf einen Ratenkauf, eine Zahlungsform, die er (da er sie nicht nötig hatte) als eine Krankheit seiner Generation betrachtete.
    »Aber ja. Alles andere hat doch keinen Sinn, meinen Sie nicht auch?«
    Eine Weile antwortete der Inquisitor nicht, sondern verharrte in tiefster Konzentration, sein Körper war regungslos, die Laterne schwang leise in seiner Hand, die Augen starrten auf den Wagen.
    »O Gott«, flüsterte er schließlich. »O Gott. Ein Leichenwagen für einen ›Unbeschreiblichen‹.«
    Cassidy hatte schon öfter Leute beobachtet, die seinen Wagen bewunderten. Er hatte sie sogar dazu ermuntert. Wenn er zum Beispiel an einem Sonnabendvormittag von einem Einkauf oder einer anderen halbfreizeitlichen Erledigung zurückkam und ein Grüppchen von Autofans um die elegante langgestreckte Karosserie geschart fand, so konnte es ihm einfallen, einen Abriß der Geschichte und Qualitäten des Wagens zum besten zu geben und einige seiner ausgefalleneren Verbesserungen im Stand vorzuführen. Diese demokratische Aufgeschlossenheit empfand er als eine seiner liebenswertesten Gaben. Wohl hatte das Leben einiges davon abgeschliffen, doch wenn es um die Kameradschaft der Landstraße ging, so schätzte Cassidy sich wenig höher ein als seinen Nächsten. Das Interesse seines Gastgebers war jedoch ganz anderer Art. Auch hier schien es sich um ein prinzipielles Problem zu handeln, die Grundfrage nach gewissen noch nicht erfaßten Werten, die untrennbar mit der Existenz des Wagens verbunden waren, und Cassidys Unbehagen wuchs. Fand er ihn ordinär? War er weniger gut als sein eigener? Die oberen Zehntausend hatten, wie er sehr wohl wußte, strenge Ansichten über die Zurschaustellung des Wohlstands, indessen war der Wagen doch wohl aufgrund seiner Besonderheit über solche summarischen Beschuldigungen erhaben? Irgend jemandem mußte er schließlich gehören. Genau wie Haverdown irgend jemandem gehören mußte, ha, ha. Vielleicht sollte er etwas sagen, eine bescheidene Abwehr äußern? Unter anderen Umständen hätte er verschiedene Versionen vorbringen können: ›Im Grunde nur ein Spielzeug … Ich betrachte ihn immer als eine Art Nerzcape für Männer … natürlich hätte ich ihn mir zu Anfang nicht rein privat leisten können … Geschenk der Steuerzahler, wie ich fürchte …‹ Er erwog noch immer einen derartigen Schachzug, als eine überraschend kräftige Hand seinen Arm packte. »Los, Lover«, sagte die Stimme überredend, »kommen Sie

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