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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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schon zu Stuhl, mich friert.«
    »Also, wenn ich Ihnen bestimmt nicht ungelegen komme«, begann Cassidy, während er fast über die morsche Schwelle gestolpert wäre. Er sollte nie erfahren, ob er ungelegen kam oder nicht. Die schwere Tür hatte sich hinter ihm geschlossen. Die Laterne war verschwunden. Er stand in der völligen Finsternis eines unbekannten Raumes, einzig gesteuert vom freundlichen Griff seines Gastgebers.
     
    Während er wartete, daß seine Augen sich an die Beleuchtung gewöhnten, durchlitt Cassidy eine Reihe von Halluzinationen, wie sie den zeitweilig Erblindeten befallen. Als erstes glaubte er sich in den Scale-Lichtspielen in Oxford, wo er sich an einer Reihe unsichtbarer Knie vorbeizwängte und, Entschuldigungen murmelnd, auf unsichtbare Füße trat. Einige waren hart, andere weich; alle waren feindselig. Damals, als Cassidy die Ehre gehabt hatte, eine höhere Schulbildung zu genießen, gab es in Oxford sieben Kinos, die er Woche für Woche säuberlich abgraste. Bald, dachte er, wird sich das graue Rechteck vor mir auftun und ein dunkelhaariges, nach der damaligen Mode gekleidetes Mädchen wird zu den bewundernden Pfiffen der Jung-Akademiker auf französisch ihre Bluse aufknöpfen. Doch noch ehe er solcher Wonnen teilhaftig wurde, fand er sich jählings ins Naturhistorische Museum in South Kensington versetzt, dem er, wie eine seiner Stiefmütter ihm angedroht hatte, zur Strafe für Selbstbefriedigung übereignet werden sollte. »Du bist nicht besser als ein Tier«, hatte sie ihm zornerfüllt versichert. »Also sollst du auch zu den Tieren. Für immer.« Obgleich die Sicht sich nun erhellte, fand sich noch vieles, was den Alpträumen zur Nahrung dienen konnte: rauhe, nach Kino riechende Polsterung, der beißende Gestank nach räudigem Pelz und Formalin, die abgeschnittenen Köpfe von Elchen und Gnus, die mit dem verglasten Entsetzen ihrer letzten Agonie auf ihn herabstarrten, hochragende Mammutformen unter weißen Staubhüllen.
    Zu seiner Erleichterung sprachen allmählich vertrautere Bilder für eine menschliche Wohnstatt. Eine Standuhr, ein Eichenbüfett, ein Eßtisch aus der Zeit Jakobs I., ein steinerner Kamin mit gekreuzten Musketen auf dem Wappenschild, dem angenehm vertrauten Emblem der de Waldeberes.
    »Du lieber Himmel«, sagte Cassidy schließlich und hoffte, daß es ehrfürchtig klänge.
    »Hübsch, was?« fragte sein Begleiter. Er zauberte die Laterne von wer weiß wo herbei und ließ den Strahl nonchalant über die unebenen Quader flackern.
    »Prächtig. Ganz prächtig.«
     
    Sie standen in der großen Halle. Schmale Streifen grauen Lichts markierten die gewaltigen Ausmaße der mit Läden verschlossenen Fenster. Lanzen, Speere und Hirschgeweihe zierten die oberen Wandflächen; Versandkisten und zerfledderte Bücher waren über den Fußboden verstreut. Direkt vor ihnen hing eine Empore aus massiver schwarzer Eiche. Dahinter öffneten sich steinerne Bögen auf düstere Korridore. Der Geruch nach Trockenfäule war unverkennbar.
    »Wollen Sie das übrige auch noch sehen?«
    »Furchtbar gern.«
    »Den ganzen Kasten? Mit sämtlichen Beulen?«
    »Von oben bis unten. Ist fantastisch. Aus welcher Zeit stammt übrigens die Empore? Sollte ich eigentlich wissen, fällt mir aber nicht mehr ein.«
    »Menschenskinder, ist zum Teil aus der Arche Noah geschnitzt. Ohne Witz. Jedenfalls hab’ ich’s gehört.«
    Cassidy lachte pflichtschuldigst, konnte jedoch nicht umhin, über den vertrauten Antiquitätengeruch hinweg die Whiskyfahne seines Gastgebers zu bemerken.
    Ha , ha , dachte er mit einem innerlichen Anerkennungsgrinsen. Die Aristos. Kratz ein bißchen an der Oberfläche, darunter sind sie alle gleich. Dekadent, gewissenlos … aber eben doch fabelhaft nach den Maßstäben einer anderen Welt.
     
    »Sagen Sie«, fragte er höflich, als sie um eine weitere Ecke ins Dunkel bogen, »steht das Mobiliar ebenfalls zum Verkauf?« Seine Stimme hatte sich hörbar verhochenglischt, als er sie der Begutachtung des Aristokraten anheimstellte.
    »Erst wenn wir draußen sind, Lover. Müssen uns noch irgendwo draufsetzen können, nicht wahr?«
    »Natürlich. Aber später?«
    »Klar. Alles was Sie wollen.«
    »Es würde sich nur um kleinere Gegenstände handeln«, sagte Cassidy vorsichtig. »Ich habe nämlich schon eine ganze Menge. Im Vorrat, sozusagen.«
    »Sammler, wie?«
    »Nun, wenn man so will. Aber nur, wenn der Preis vernünftig ist«, fügte er im gleichen defensiven Ton hinzu. Wenn es eine Sache

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