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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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coole Sau in dir? Eine Anleitung zur Spontaneität? Muss ich jetzt, bereits zwei Jahre zu spät, noch schnell mit jemandem schlafen, dessen Namen ich nicht kenne, und in eine Prügelei verwickelt werden?
    Ich möchte keine Listen, ich will, dass mich meine Ersten Male überraschen, dass sie um die Ecke geschossen kommen und brüllen: »Ha! Haste so noch nicht gehabt, was?« Und dann will ich schwitzige Hände kriegen und ein bisschen zittern vor Aufregung, und ich will in mich hineinsehen und kucken, ob dies tatsächlich jungfräulicher Boden ist. Habe ich wirklich noch nie »comme çi, comme ça« gesagt? Ist dies hier tatsächlich das erste Mal, dass ich Entenstopfleber esse? Wie aufregend Erste Male sind. Sie versprechen so viel.
    Und auf der anderen Seite bin ich so schlecht im Loslassen. Ich kann auf Vergangenes nie zufrieden oder gar glücklich zurücksehen, ich empfinde immer Schmerzen dabei. Immer das qualvolle Gefühl von Verlust. Das Bewusstsein, dass manche Dinge, so wertlos oder unaufgeregt sie teilweise auch gewesen sein mögen, abgeschlossen und unwiderruflich vergangen sind, drückt mir das Herz zusammen.
    Und so liege ich in meinem Umzugskartonnest und bin hin- und hergerissen zwischen dem erregenden Gefühl, das mir mein nächstes großes Erstes Mal verschafft, und der Gewissheit, dass ein Teil meines Lebens nun vorbei ist. Dass ich von nun an vielleicht doch offiziell erwachsen sein muss.
    Meine Mutter habe ich einmal gefragt, ob sie sich erwachsen fühlt. Ob sie sich nach zwei Kindern, zwei Karrieren, einer Hochzeit und einer Scheidung, bisher drei eigenen Wohnungen wie die anderen Erwachsenen fühlt. Und sie grinste und meinte: »Nee. Ich fühle mich oft noch wie sechzehn. Manchmal, wenn ich die Arbeit schwänze und stattdessen auf meinem Sofa rumlungere und Tiersendungen im Fernsehen sehen, fühle ich mich, als hätte ich meiner Mutter Geld geklaut und würde alles für geschmacklose Unterwäsche und Zigaretten ausgeben!«
    Ich weiß nicht, ob ich diesen Gedanken tröstlich finde. Innerlich für immer sechzehn sein, aber das Leben eines Dreißig-, Vierzig-, Fünfzigjährigen leben zu müssen, scheint mir eine untragbare Last zu sein.
    Ich fühle mich doch heute schon dauernd so, als wäre ich ein Blender. Ein Zauberer, der immer kurz davor ist, beim Schummeln erwischt zu werden. Permanent befürchte ich, die Leute könnten merken, dass in meinem Zylinder gar kein Kaninchen und die Alte im Kasten gar keine Jungfrau ist. Weshalb wächst mein Geist nicht proportional zu meinem Alter, vor allem aber proportional zu meinen Lebensumständen?
    Weshalb liege ich hier in der Nacht vor meinem ersten Umzug zu zweit und habe das Gefühl, nur Erwachsensein zu spielen? Etwas zu tun, was von mir erwartet, aber nicht notgedrungen in gleichem Maße gewollt wird?

Memo
    Wie oft ich wohl noch meine Fingernägel schneiden muss, damit kein Stück mehr von ihnen übrig ist, das dich kennt? Angeblich wachsen Nägel einen Millimeter pro Woche. Das bedeutet, dass dich bereits vier Millimeter noch nicht kennen. Noch etwa eineinhalb Monate, und meine Nägel sind dir völlig fremd. Ist das der Grund, weshalb Frauen so oft ihre Haare schneiden nach Trennungen? Ist es gar nicht die Veränderung, die angeblich so dringlich herbeigesehnt wird, sondern der Wunsch, so wenig wie möglich an sich zu haben, das vom Gegangenen berührt wurde? Man steckt ja auch alle anderen Erinnerungsstücke in Kisten und Keller, um nicht ständig mit dem Verlust konfrontiert zu werden. Dabei trägt man die quälendste Erinnerung mit sich herum. So ist jetzt mein ganzer Körper ein schmerzender Spiegel des gemeinsam Erlebten. Haut und Haare, die berührt wurden, Gliedmaßen, die geküsst wurden. Meine Lunge, in der winzige Teilchen von dir stecken. Stimmt es, dass sich der Körper alle sieben Jahre vollkommen erneuert? Dass dann keine einzige Zelle an mir mehr dieselbe ist? Dreißig Millionen Zellen, die pro Sekunde verfallen und neu erschaffen werden, sieben Jahre, bis ich jemand vollkommen Neues bin. Sieben Jahre, bis nichts an mir mehr mit dir in Berührung gekommen ist. Und noch sechs Wochen, bis sich meine Nägel nicht mehr an dich erinnern.

2.
    Through the storm we reach the shore
    You give it all but I want more
    And I’m waiting for you
     
    With or without you
    With or without you
    I can’t live
     
    U2, »With or Without You«

G lücklicherweise weiß ich genau, in welchem Karton die Shorts sind, wäre es nicht so unangemessen, würde

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