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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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Kaffeetrinken, ich bin es leid, diese Theaterdiskussionen zu führen, und ich bin es leid, einfach nicht gut genug zu sein für den Mann, der mich eigentlich auch dann lieben müsste, wenn ich geistig minderbemittelt wäre oder für die Atomlobby arbeiten würde. Nicht dass diese beiden Dinge in direktem Zusammenhang stehen. Wobei …
    »Ich mach das nicht absichtlich mit den Tränen, weißt du? Ich wünschte auch, ich könnte lässiger sein mit dir, aber wir erreichen immer wieder einen Punkt, an dem du irgendetwas in mir so stark berührst, dass ich weinen muss. Es ist nicht geplant, und ich wünschte, du könntest diese Tränen entweder ignorieren oder aber akzeptieren. Und verstehen, dass ich sie nicht gezielt einsetze. Meine Fresse, ist das immer anstrengend mit dir!«
    »Ja. Ich finde es auch anstrengend mit dir, Luise.«
    »Ach, fick dich«, rutscht es mir leise raus. Herrje, das ist nun tatsächlich etwas, das man nicht zu seinem Vater sagt. Erbärmlich, wie sehr mich dieser alte Mann an meine Grenzen bringt.
    »Entschuldige. Das war unnötig. Ich wünschte nur, du könntest in solchen Momenten mal der Erwachsene sein. Der Schlauere, der nachgibt. Stattdessen ist es immer ein Kampf zwischen uns beiden. Einer, den du unbedingt gewinnen willst.«
    Papa reibt sich die Augen und mir dann über die Wange. Er denkt nach und sagt nach einem dramatischen Atmer: »Luise, du bist selbst erwachsen. Du musst endlich mal aufhören, in meiner Gegenwart ein kleines Kind zu sein.«
    »Aber ich bin ein Kind! Nämlich deins. Weshalb kannst du nicht einfach mal Vater sein? Einfach liebhaben, trösten, Mut zusprechen. Stolz sein.«
    »Ich bin stolz! Aber …«
    »Genau! Aber! Weshalb kommt immer ein Aber? Und weshalb sagst du mir nie von allein, dass du stolz bist?«
    »Das sag ich dir doch.«
    »Nein. Nenn mir eine Situation im letzten Jahr, in der du mir gesagt hast, dass du stolz auf mich bist. Oder einfach nur irgendeine Entscheidung von mir ganz okay fandest!«
    »Ach, Luise, das weiß ich doch nicht aus’m Kopf.«
    »Weil du es nicht gesagt hast. Immer wenn ich dir irgendwas aus meinem Leben erzähle, nickst du dein muffeliges Nicken und sagst mir danach, wie ich es besser oder anders machen sollte.«
    »Ach, Mensch, ich will doch nur, dass meine schlaue Tochter all ihre Möglichkeiten nutzt. Dass du nicht wie die ganzen Idioten da draußen wirst, die den ganzen Tag RTL kucken und ausschließlich über Castingshows reden. Du bist toll, du kannst echt alles werden!«
    »Und was ist, wenn ich gar nicht alles werden will? Wenn ich gern RTL sehe? Wenn ich die Idioten da draußen gar nicht so schlimm finde?«
    Wieder viel Augengereibe auf Papas Seite.
    »Nun, dann wäre es schade drum.«
    »Weshalb?«
    »Weil dir dann womöglich eine Menge entgeht. Und weil du viel mehr drauf hast, als du tatsächlich nutzt. Du ruhst dich aus, bist, entschuldige, schlicht zu faul, Neues zu erkunden.«
    »Aber weshalb kann es nicht genug sein, dass ich Herrenschneiderin bin. Und damit zwar nicht hysterisch viel Geld verdiene, aber grundsätzlich zufrieden bin?«
    »Ja, aber bist du das denn? Zufrieden?«
    Ich denke nach, denn natürlich trifft mein Vater damit des Pudels Kern.
    »Nein, richtig zufrieden bin ich nicht. Aber weißte was? Langsam bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich es nicht bin, weil mir wirklich was fehlt oder weil mir permanent das Gefühl vermittelt wird, eigentlich mehr aus meinem Leben machen zu müssen. Denn schließlich sind da all diese wunderbaren Möglichkeiten, oh, diese
Möglichkeiten
! Im Ernst: Ist jemand, der im Restaurant immer das Gleiche bestellt, ein ignoranter Arsch oder einfach jemand, der weiß, was ihm schmeckt?«
    »Nun, ich würde sagen, das kommt drauf an, ob er jemals zuvor etwas anderes aus der Karte probiert hat.«
    »O.k. Lass uns sagen, nein. Er isst gerne Kasseler. Das schmeckt ihm. Also bestellt er nicht die Königsberger Klopse, obwohl die super sind, sondern bleibt bei Kasseler. Was spricht dagegen?«
    »Ich finde, der Vergleich hinkt.«
    »Weshalb? Ich finde ihn perfekt. Der Typ mag Kasseler, also isst er ihn und ignoriert, dass er auch tausend andere, vielleicht sogar genauso gut schmeckende Gerichte bestellen könnte.«
    »O.k., Luise. Was ist, wenn ihm der Kasseler aber gar nicht so richtig gut schmeckt? Weshalb wirft er dann nicht einfach einen Blick auf die Karte?«
    »Weil die Möglichkeit besteht, dass der Kasseler nur dieses eine Mal nicht so gut ist. Schlechter Tag beim Koch oder

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