Wachstumsschmerz
Monolog, geben, an dem mein Vater einhaken, bitte vielleicht sogar zustimmen kann.
Aber er nickt nur vor sich hin und rührt immer noch.
Ich atme tief aus und lehne mich zurück.
»Und machste das oder nicht?«, fragt Papa schließlich und winkt dabei einem vorbeiradelnden Bekannten.
»Nee. Ist mir zu schlimm. Die Vorstellung, dass ich in der ganzen Stadt an Bushaltestellen rumhänge, die Arme trotzig verschränkt, schlimmstenfalls sogar meinen schmächtigen Bizeps herausfordernd zeigend, und neben mir der schmissige Slogan ›Bären. Stark!‹, macht mir Bauchschmerzen. Ich glaube, ich steige auch aus der Agentur aus. Vermutlich ist das ganze Medien-Dings nichts für mich.«
»Hm«, macht Papa und sieht sich nach der Bedienung um.
»Wieso? Findest du, ich sollte das machen? Also die Bärennummer?« Ich bin verunsichert. Den Gedanken, endgültig von diesem furchtbaren Castingkarussell abzusteigen, habe ich noch nie laut formuliert, und die ausgesprochenen Worte geben mir ein überraschend sinnvolles Gefühl, als würde etwas einrasten. Papas Einsilbigkeit nervt mich. Es kann doch nicht sein, dass dieses doch eigentlich von uns beiden gewollte Treffen nur von mir moderiert wird. Dass es überhaupt moderiert werden muss.
»Keine Ahnung, Luise. Das musst du selbst wissen.« Irre. Mein Vater ist ein großer Freund von Ratschlägen. Manchmal glaube ich, dass es deshalb nicht besonders gut mit uns funktioniert, weil ich selten welche benötige. Und nun gibt es eine ganz offizielle Anfrage nach Rat, und ich bekomme … nichts.
»Aber was denkst du?«, hake ich nach.
»Ich glaube, dass du zu schnell aufgibst. Dass du den Arsch nicht hochkriegst. Dass du aus deiner durchaus privilegierten Situation nichts machst.«
»Ähm. Reden wir noch über Braunbären? Und welche privilegierte Situation meinst du?«
«Luise, du bist da, wo tausend andere Menschen hinwollen: in einer Agentur für Schauspiel und was weiß ich noch. Alles, was du machst, ist auf deinem Hintern sitzen und meckern.«
»Aber fandest du neulich nicht noch, dass ich mich prostituiere? Könntest du vielleicht versuchen, bei
einer
negativen Meinung zu bleiben? Ich dachte, du könntest es eventuell ganz gut finden, dass ich nicht einfach nur für schnödes Geld und Bushaltestellenpräsenz diesen Bärenmist mache.«
»Ich rede ja nicht von Werbung. Das finde ich nach wie vor blöd und unnötig. Aber du wirst doch auch für Schauspielerei vermittelt von dieser Agentur, oder?«
»Kaum. Und wenn, dann ist es Müll. Worauf willst du hinaus?«
»Ich weiß nicht, ich finde nur, dass du dir ein wenig mehr Mühe geben solltest. Du wächst, im Gegensatz zu meiner Generation, in einer Zeit auf, in der du alles werden kannst. Du bist schlau und siehst gut aus, du kannst dich vernünftig ausdrücken und hast sogar eine Agentur. Weshalb nutzt du diese Voraussetzungen nicht, um was zu werden?«
»Was zu werden? Weil ich noch nichts bin? Bin ich zu wenig?« Ich bin zu entrüstet, um anzufangen zu weinen, wobei ich merke, dass die Frusttränen durchaus bereits anklopfen.
»Lu, klar ist es okay, was du bist und was du machst, aber du könntest noch so viel mehr machen und sein. Weshalb nicht Schauspielunterricht nehmen? Oder ein Praktikum am Theater. Ich kann da jemanden fragen. Frank inszeniert grad wieder was am Theater.«
»Aber ich
will
überhaupt nicht ans Theater!«
»Weshalb nicht?«
»Weil es mich nicht interessiert!«, schießt es aus mir heraus, und sofort schäme ich mich, als hätte ich absichtlich eine alte Frau geschubst. Sich nicht fürs Theater interessieren ist wie nie die Tagesschau sehen oder nicht wählen gehen. Macht man einfach nicht.
»Woher willst du das wissen? Du gehst doch nie ins Theater!« Jetzt sieht mich mein Vater direkt an, und es lodert ein wenig hinter seinen blassen Augen.
»Natürlich war ich schon im Theater. Mit dir. Und es hat mir nicht gefallen. Und ich weiß genau, dass du gesagt hattest, dass ich es erst mal probieren müsste und dass es erst dann okay wäre, eine Meinung übers Theater zu haben, und ich hatte danach eine Meinung, aber es war wohl nicht die richtige!«
Nun schießen mir die Tränen in die Augen und plumpsen direkt in meinen Kaffee. Eigentlich müsste ich ihn jetzt wieder umrühren.
Papa atmet aus und sagt: »Warum fängst du an zu weinen? Es gibt gar keinen Grund zu heulen.«
Nein, in seiner Welt gibt es keinen Grund zu weinen. Aber in meiner schon. Ich bin erschöpft von diesem furchtbaren, kalten
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