Wachstumsschmerz
vollkommen unzureichend umgerührten Kaffee zurück und keinerlei Möglichkeit, noch mal nachzubessern. Ich meide diese Läden. Wenn ich aus der Nummer nicht rauskomme, bitte ich die Kaffeemacher, länger umzurühren, lächle schief und hoffe, dass Charme den Tick übertüncht.
Dass Papa grade seit Minuten seinen Kaffee umrührt, ergibt hingegen überhaupt keinen Sinn. Erstens, weil er keinen Zucker nimmt, und zweitens, weil wir selbst für meine Verhältnisse schon zu lange rühren.
Unglaublich eigentlich, dass sich jedes Treffen mit meinem Vater anfühlt wie ein unfreiwilliges Blind Date. Jedes Mal vermittelt er mir den Eindruck, dass er in Gedanken woanders ist und es auch körperlich gern wäre.
Und so sitzen wir also schon wieder schweigend, unfähig, eine halbwegs okaye Verbindung zwischen uns aufzubauen, in einem Straßencafé und rühren träge in unserem Unwohlsein rum.
»Die Wohnung ist inzwischen mein richtiges Zuhause!«, versuche ich ein Gespräch.
»Schön!«
»Ja. Du musst echt mal vorbeikommen!«
»Klar. Ich hab nur so viel zu tun im Verlag.«
»Kein Ding.«
Doch! Volles Rohr ein Ding! Ein riesiges Ding sogar. Flo und ich wohnen nun seit zwei Monaten in der Wohnung, und mein Vater war nicht ein einziges Mal da. Alle waren da. Mama, meine Großeltern, Pauli. Sogar Karen, Papas Freundin. Weshalb ist es so schwer für diesen knöcherigen Mann, ein wenig Enthusiasmus für mein Leben aufzubringen? Es ist doch eine riesige Geschichte. Papas kleines Mädchen wohnt in einer echten Wohnung für Erwachsene. Mit einem anderen Erwachsenen. Einem Erwachsenen, der vielleicht sogar der Vater seiner Enkel werden könnte. Denkt mein Vater nie darüber nach? In den vier Jahren, die Flo und ich nun zusammen sind, haben die beiden sich vielleicht dreimal gesehen und nicht ein einziges Mal richtig miteinander gesprochen. Nur holperige Männer-Begrüßungen, blödes »Alles klar?«-gesmalltalke, und dann ist es Papa schon genug, und er lässt den in solchen Momenten zu Recht eingeschüchterten Flo einfach stehen. Schon wieder stehen Höflichkeit und fehlendes Interesse einander gegenüber, rühren sich nicht und schmollen.
Als Flo und ich letzten Sommer für unsere Freunde und Familie eine Grillparty im Park veranstaltet haben, kam mein Vater zwar, setzte sich aber sofort mit einem Bier an den Rand der kleinen Gruppe unter einen Baum und spielte an seinem Telefon rum. Da saß er dann und strahlte so viel Kälte und Desinteresse aus, dass die meisten meiner Freunde sich gar nicht trauten, sich vorzustellen. Einzig Rieke stapfte hin, streckte ihre Hand aus und sagte: »Tach. Rieke.«
Mein Vater sah hoch, runzelte die Stirn, entrunzelte sie wieder und sagte: »Tach. Gerd.« Die beiden standen (nun, Papa saß nach wie vor) einander für ein paar verstörende Sekunden wortlos gegenüber, dann drehte sich Rieke einfach wieder um und holte sich eine Tofuwurst. Mein Vater blickte wieder runter und erweckte sein Telefon aus dem Ruhezustand.
»Wow. Dein Vater ist ein Arsch«, sagte Rieke damals relativ nüchtern zu mir. Dem konnte ich nichts hinzufügen.
Es gibt Momente, in denen ich wünsche, ich könnte diese Wut aufrechterhalten. Aber sie weicht immer dem armseligen Bedürfnis, einfach bitte schön von meinem Vater liebgehabt zu werden. Und dann sitze ich mit ihm in einem Café und denke fiebrig darüber nach, was ich dem schweigenden Mann neben mir sagen könnte. Was ihn stolz oder zumindest interessiert machen könnte.
»Ich habe eine hässliche Werbung angeboten bekommen. Für Braunbären. Also gegen das Sterben von Braunbären. Also irgendwie dafür, dass man mehr auf dem Schirm hat, dass Braunbären sterben.« Puh. Eine Menge Braunbären für einen Satz.
»Eigentlich ja eine gute Sache, aber die Umsetzung furchtbar. Sehr jugendlich. Sehr anbiedernd. Du glaubst nicht, was der Slogan gewesen wäre. ›Bärenpunktstarkausrufezeichen‹. Assi, oder?«
Papa rührt immer noch und kaut nachdenklich auf seinem Zahnstocher rum.
»Was ich außerdem nicht so richtig verstehe, ist, wenn der Braunbär in Deutschland eh schon ausgestorben ist, was will diese Werbung dann erreichen? Dass man möglichst keine Bären erschießt, wenn man im Österreich-Urlaub ist? Ich meine, es ist ja nicht so, dass man im Alltag irgendwas anders machen könnte, um Bären zu schützen. Weniger Wasser verbrauchen, häufiger mal die Bahn statt das Auto nehmen oder so.« Ich plappere. Es muss doch irgendeinen Punkt in diesem Gespräch, nun
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