Wachstumsschmerz
zwei Leute zu sein.«
»Freust du dich denn, wenn Flo nach Hause kommt?«
»Klar. Ich meine, ich dreh mich nicht mehrfach im Kreis, versuche, meinen eigenen Schwanz zu fangen, und mache Quietschlaute vor Aufregung, aber ich freu mich.«
»Und wenn ihr tagsüber getrennt seid, fehlt er dir?«
»Keine Ahnung. Manchmal. Nicht so, dass ich es nicht aushalte, aber ich denke an ihn. Natürlich.«
»Und wann genau beginnt er dir auf die Nüsse zu gehen?«
»Sag mal, ist das ein telefonischer Rorschachtest oder so?«
»Was? Nein!« Jana klingt, als wenn sie rot würde.
»Natürlich! Ich wette, du machst dir sogar Notizen. Ich warne dich, wenn du mich als Proband für irgendeine kranke psychologische Marktforschung benutzt, lass ich dich töten.«
»Luise, willst du nun meinen Rat oder nicht?«
»Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Weißt du noch, als ich dich neulich gefragt habe, ob du nach all den Jahren Psychologiestudium das Gefühl hättest, schon viel mehr zu wissen und eine echte Psychologin zu sein, und du gekichert und nein gesagt hast?«
»Leck mich!«
»Gute Antwort! Freud hätte dazu sicher irgendwas mit oraler Phase aufgeschrieben.«
»Freud hatte aber auch keine Schwester mit Quarterlife Crisis.«
Ich google schnell Freud. Jackpot:
»Denkste! Der hatte sieben Geschwister und noch zwei Halbgeschwister. Da wird schon ’ne nervende Schwester dabei gewesen sein. Und jetzt du!«
»Hast du das grade gegoogelt?« Jana scheint entrüstet.
»Außerdem hieß der eitle Sack eigentlich Sigismund Schlomo Freud. Hat der feine Herr sich wohl ’nen Künstlernamen zugelegt, was?«
»Na und? Das hat doch wirklich gar nichts zu bedeuten.«
»Nein? Was ist damit: ›Freud fiel es insgesamt schwer, warmherzige Beziehungen zu Menschen aufzubauen.‹
«
Ich kucke herausfordernd, leider umsonst, weil Jana ja am Telefon ist.
Und das ist sie jetzt besonders still.
»Ich kucke sehr herausfordernd!«, helfe ich.
»Das ist enorm erwachsen, Luise!«
»Wie kuckst du grade?«, frage ich.
»Rate mal.«
»Voller Liebe? Für mich? Hast du wie Donald Duck Herzen in den Augen?«
»Nein. Ich habe wie Donald Duck eine Denkblase, die gefüllt ist mit Totenköpfen und Blitzen und dunklen Wolken und Fischgräten und Würfeln.«
Ich muss lachen: »Das habe ich nie kapiert. Warum da immer Würfel drin sind.« Und da muss Jana mir zustimmen.
»So. Willst du zum eigentlichen Thema zurück oder lieber weiter Quatsch machen?«, fragt sie nach einer Weile.
»Quatsch machen, Quatsch machen!«
»Wow. Könntest du dir vorstellen, dass ich jetzt auflege und du einfach allein weiter Quatsch machst?«
»Klar!«, sage ich, und Jana legt ohne Verabschiedung auf.
Wenn man Quarterlife Crisis im Internet eingibt, erhält man nur knapp zweihunderttausend Ergebnisse. Inhaltlich bekommt man recht Erwartbares, nicht immer zu einhundert Prozent Zutreffendes. Aber vermutlich ist allein schon das Bedürfnis nach einhundert Prozent Zutreffendem Teil des Problems. Die Rede ist von einer Sinnkrise, nachdem man das erste Viertel seines Lebens hinter sich gebracht hat. Für den Fall, dass ich hundertzwanzig Jahre alt werde, durchaus logisch, ansonsten nicht. Es könnte sich bei mir also um eine schöne Thirdlife Crisis handeln. Und das ist ja etwas, das die Welt eh noch dringend braucht: mehr Wohlstandswehwehchen mit fancy Namen. Ich google »Thirdlife Crisis«. Knapp fünfundzwanzigtausend Einträge und sogar eine richtige Website. Die ist aber noch im Aufbau. Puh, Seiten, die sich mit Krisen beschäftigen, sollten nicht noch im Aufbau sein. Entweder sind sie da oder eben noch nicht. Aber einen sich in einer Krise Befindenden darauf zu verweisen, dass man noch an der Hilfe arbeitet, scheint mir kontraproduktiv.
Dennoch ist, was ich im Internet lese, nicht vollkommen von der Hand zu weisen. Das Gefühl von Orientierungslosigkeit und Zukunftsangst, Langeweile und Identitätsverwirrung scheint ein gängiges Modell für mitteljunge Menschen zu sein. Die Überforderung durch das längst überfällige Erwachsensein. Verwirrenderweise ein Thema, das zumindest in den Feuilletons von augenscheinlich älteren Herren eher abfällig behandelt wird. Nun ist es für einen Endsechziger, der sich als Kind in den letzten Zügen des Zweiten Weltkrieges in Pferdekadavern vor den Russen verstecken musste, sicherlich nicht besonders einfach nachzuvollziehen, dass diese jungen Dinger von heute mit ihren viel zu dünnen Beinen, die in viel zu engen Hosen stecken, nun vor
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