Wachstumsschmerz
mit nassen Armen. Auch dieses Mal klickt es nicht. Keine innere Versöhnung. Ich fühle mich, als würde ich versuchen, ein Feuer aus feuchten Ästen am Leben zu erhalten. Ich puste und puste, aber alles, was entsteht, ist dichter Rauch.
Keine Flammen.
»Kann sein, dass ich dich heute Abend abschleppen werde. Natürlich nur, wenn ich den Trauzeugen nicht kriegen kann!«, murmle ich in Flos Brust.
»Dann habe ich ja wirklich unfassbares Glück!«, antwortet er und schiebt mich von sich, um sich die Krawatte zu binden.
Die Partyscheune liegt nur wenige Minuten von unserer Pension entfernt, weshalb uns die Hälfte der Gäste bereits im Flur begegnet, als wir das Zimmer verlassen. Ich kenne niemanden, Flo grüßt jeden dritten. Nach dem zweiten geflüsterten »Wer ist das?« gebe ich auf. Weil ich es mir eh nicht merken kann und weil es mich auch nicht interessiert. Eingebettet in mehrere kleine Zweier- bis Vierergrüppchen laufen wir zur Hochzeit, die keine ist, und sprechen mit Fremden darüber, wie die Anreise war und dass eine Hochzeit im Sommer vielleicht schöner gewesen wäre, allein schon wegen des einsetzenden Nieselregens. Flo plappert wie ein Profi übers Wetter, während ich mich rauchend und schweigend darauf konzentriere, mit meinen hohen Absätzen nicht in den feuchten Ritzen des Kopfsteinpflasters zu versinken.
Kurz vor der Scheune trennen sich faszinierenderweise die Grüppchen wieder in Paare, und es wird kaum noch geredet. Arne und Thea stehen wie zwei festlich gekleidete Türsteher am Eingang und heißen jeden ihrer Gäste persönlich willkommen. Die Mädels werden auf die rosé geschminkten Wangen geküsst, die Jungs bekommen einen dieser speziellen Herren-Handshakes, der in eine herbe Umarmung mündet.
Und sobald man an den beiden vorbei ist, stößt man auf den Gabentisch. Arne und Thea haben sich, zur Refinanzierung dieser Feier und zur Präfinanzierung einer kleinen Segel-Hochzeitsreise an die Nordsee, Sachgeschenke verbeten und freundlich auf Geld bestanden. Flo und ich sind diesem Wunsch nur zu gern nachgekommen und blicken, mit unserem kleinen Umschlag voller Geld und Liebe in den Händen, auf eine »Kathedrale« der Kreativität. Der Gedanke, nur schlichte Papierscheine verschenken zu dürfen,scheint in den meisten Gästen ein so unermessliches Unbehagen ausgelöst zu haben, dass sie vor Schreck in nahezu obszöne Übersprunghandlungen verfallen sind. Auf dem mit weißem Leinen bedeckten Holztisch türmen sich absurde Geldgeschenkverpackungen: die schlichteste Variante ist ein Blumenstrauß, der zur einen Hälfte aus Blumen, zur anderen aus kunstvoll gefalteten Fünf-Euro-Scheinen besteht.
Ich entdecke ein vollkommen aus Bargeld gebasteltes Segelschiff.
Flo steht eingeschüchtert vor einem kleinen Eimerchen, gefüllt mit Nordseesand, Muscheln und Hartgeld, neben ihm drei mit Helium und je einem Fünfzig-Euro-Schein gefüllte Luftballons. Während wir scheu und überfordert, unseren blassen Umschlag in den Händen wendend, vor diesem Bufett der Eitelkeiten stehen, gesellt sich immer mehr aufwendiger Mumpitz hinzu. Jedes neu eintreffende Gästepaar achtet penibel darauf, gut sichtbar und vor allem am liebsten allein den Gabentisch zu bestücken. Also treten wir hilflos einen Schritt zur Seite, stehen rum wie zwei dicke Kinder und fühlen uns wie, nun ja, Falschgeld. Während das nächste Paar eine riesige Glasschüssel mit geschichteter und mehrfarbiger Götterspeise, in der wie von böser Zauberhand Zwei-Euro-Stücke zu schweben scheinen, auf das Bufett stellt, schlage ich Flo vor, unseren Umschlag einfach wieder einzustecken und umgehend das Fest zu verlassen. »Wir könnten in zwanzig Minuten in Polen sein. Und von dem Geld den Tank vollmachen und gefälschte Markenzigaretten kaufen! Bitte?«
Flo scheint für einen Moment tatsächlich darüber nachzudenken, schüttelt dann aber vehement den Kopf: »Komm, wir packen jetzt den Umschlag auf den Tisch und holen uns was zu trinken!«
»Wenn wir den Umschlag zu dem ganzen anderen pompösen Kram legen, wird er später einfach versehentlich weggeworfen, weil man ihn für die Verpackung einer vollkommen egalen Hochzeitsgrußkarte hält«, flüstere ich und mache mir Sorgen um unsere lieblos eingepackten fünfzig Euro. Ich wünschte, es wären wenigstens mehrere Scheine, so dass ich schnell noch auf dem Klo einen Katamaran daraus falten könnte.
»Ach, Quatsch. Komm, pack den irgendwo hin und gut ist!«
»Der Umschlag ist noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher