Wachstumsschmerz
lege auf und mache dann zumindest auch noch den zweiten Polnischen.
D ass Flos Freund Arne in der Uckermark heiratet, versöhnt mich ein wenig damit, dass er es überhaupt tut. Wobei es leider für einen schönen »Die Reifeprüfung«-schen Eklat in der Kirche zu spät ist, denn Arne hat bereits ohne uns geheiratet. Heute früh. Standesamtlich. Im engsten Kreis der Familie. Für den weiteren Familien- und vor allem Freundeskreis wird am Abend eine Feier in einer Partyscheune in Brandenburg geschmissen.
»Also im Grunde fahren wir gar nicht zu einer Hochzeit, sondern nur zu einer Party«, stelle ich durchaus beleidigt fest. Ich war noch nie auf einer Hochzeit. Obwohl ich in einem Alter bin, in dem augenscheinlich viel geheiratet wird. Zumindest beschweren sich viele meiner Bekannten permanent darüber, dass sie andauernd auf irgendeine Hochzeit müssen. Dass alle heiraten, wie Fliegen sterben.
Meine direkten Freunde heiraten aber nicht. Nur Freunde von Freunden. Wie Arne. Und da ich Hochzeiten auch nur aus dem Fernsehen kenne, hatte ich mich tatsächlich ein wenig gefreut. Ein weiteres spätes Erstes Mal. Und nun ist es nur ein halbes Erstes Mal.
»Na ja, nicht irgendeine Party. Arne und Thea werden sich schon noch mal vor allen Leuten ewige Liebe versprechen. Oder was man da so verspricht.«
Flo war auch noch nie auf einer Hochzeit. Er kann sich daher genauso wenig wie ich vorstellen, wie das genau abläuft.
»Puh. Ewige Liebe. Ich finde, man sollte sich so was nicht versprechen dürfen.«
Flo wendet den Blick von der sich vor uns ergießenden Autobahn ab und sieht mich an, wie jemand, der grade geschubst wurde.
»Was?«, frage ich und weise gleichzeitig mit meinem Kopf Richtung Straße.
Flo kuckt wieder nach vorn und sagt: »Weshalb sollte man sich nicht ewige Liebe versprechen dürfen?«
»Weil man ewige Liebe unmöglich garantieren kann.«
»Wenn es der oder die Richtige ist …«
»Ja, aber woher weiß man das? Denkt man nicht jedes Mal, dass es der oder die Richtige ist? Weshalb fängt man denn sonst überhaupt an mit der Liebe?«
»Du bist eine kalte Frau!«, sagt Flo und meint es ernsthafter, als er es klingen lässt.
»Ach komm. Ich habe doch nichts gegen die Liebe! Nur erschließt sich mir das mit der Hochzeit einfach nicht. Zumindest nicht, wenn man sie als Bund fürs Leben betrachtet. Und soweit ich weiß, ist das immer noch die Definition von Ehe, oder nicht?«
»Du klingst wie eine dieser furchtbaren ›Brigitte‹-Emanzen!«
Aus dem Fenster sieht man Windräder. Viele. Die meisten Leute sind der Ansicht, dass sie die Natur verschandeln. Ich finde den Anblick schön. Wenn man nachts diese Strecke fährt, blinken ihre roten Lichter, und es sieht aus, als stünde eine Ufo-Invasion bevor.
»›Brigitte‹-Emanze«, murmle ich in meinen Bart.
Dass Flo meinen Punkt nicht versteht, nervt mich. Ich habe überhaupt kein Problem mit Romantik. Im Gegenteil: Romantik kriegt mich immer. In den allermeisten Formen. Ich finde es hysterisch romantisch, wenn Flo mitten in der Nacht, ohne zu murren, mit mir noch mal vor die Tür geht, weil ich plötzlich ein Brathähnchen vom Dönerladen will. In meinem Herzen bimmelt ein Glöckchen, wenn er mich, nachdem wir über eine halbe Stunde unterwegs sind, weil kein Imbiss mehr Hähnchen hat, mit glänzenden Augen ansieht, wenn wir doch noch eine schmuddelige Hühnerbude finden. Und wenn ich dann mit fettigen Fingern nur die überwürzte Haut und den Schenkel esse, das weiße Fleisch aber liegen lasse, sagt Flo: »Du
liebst
das!«, und ich
liebe
das!
Flo lädt mir ungebeten die neusten Folgen meiner liebsten schlimmen Mädchenserien aus dem Internet, und wenn er vor mir die »Gala« liest, weiß er, dass er den Inhalt nicht kommentieren darf, um mir nichts vorwegzunehmen. Manchmal versteckt er Post-its mit holperig selbstgemalten Herzen irgendwo in der Wohnung. Allein der Gedanke daran lässt mein Herz schön knirschen.
Und im Gegenzug male ich Herzen aus Sonnencreme auf die Haut, brenne verliebte Mix- CD s und bin immer auf der Suche nach neuen, verrückten Süßigkeitenkreationen für Flo. Wenn ich eine Sternschnuppe sehe, wünsche ich mir, dass Flo auch eine sieht, damit er sich etwas wünschen kann.
Ich möchte kein Leben ohne Romantik. Auch nicht ohne Liebe. Ich bin auch sehr an einem schönen »Für immer« interessiert, ich verstehe nur nicht, woher man die Sicherheit für ein solches Versprechen nehmen kann.
Würde man mich in der Kirche bitten,
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