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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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mal beschriftet!«
    »Na und?«
    »Dann lenk wenigstens die nächsten Originalitätsfetischisten ab, während ich unser liebevoll Erspartes über den Jordan schicke!«
    Flo sieht zumindest diese Notwendigkeit, ohne zu murren, ein und verwickelt die Überbringer eines winzigen Paars Babyschuhe, die statt Schnürsenkel kleine fächerartige Schleifen aus gefalteten Geldscheinen zieren, in ein Gespräch über die Uckermark, so dass ich fast unbemerkt unseren Umschlag gegen die Vase mit Geldblumen lehnen kann.
     
    Um kein Klischee auszulassen, werden die Gäste an runde Tische mit kleinen Namenschildern platziert, die garantieren, dass niemand neben seiner Begleitung sitzt. Da der Stuhl zwischen mir und Flo noch frei war, hatte ich die Schildchen einfach vertauscht. Jetzt ist aber der offizielle Füller der gewünschten Lücke eingetroffen und besteht auf die Durchführung dieses so originell eingefädelten Planes. »Ist doch witzig!«, sagt er mit einem zu breiten Grinsen und tauscht die Schildchen wieder zurück. »Na ja, geht so«, sage ich, während Flo bereits aufsteht, um den ihm zugewiesenen Platz einzunehmen.
    »Warte! Wir sind doch nicht mehr in der Grundschule. Wir können doch sitzen, wo wir wollen!«, sage ich zu ihm und halte seinen Arm fest. Flo scheint hin- und hergerissen, während der furchtbare neue Mensch sein Strahlen verliert und lauter als notwendig verkündet: »Wenn die beiden Gastgeber sich das so gewünscht haben, sollten wir uns wohl daran halten, meint ihr nicht?« Flo, der es nicht erträgt, dass sich die ersten Gäste bereits nach unserem Tisch umsehen, windet sich aus meinem Griff und nimmt einen Platz weiter links ein.
    Der Arsch setzt sich zufrieden neben mich, rückt sein Besteck zurecht, gibt Flo sein halbvolles Glas, fordert das ihm zustehende unbenutzte ein und streckt mir die Hand hin: »Martin!«, sagt er. »Ja«, sage ich und stehe auf, um im Nieselregen eine zu rauchen. Allein, denn der immer um Höflichkeit bemühte Flo ist in ein Gespräch mit seiner neuen Sitznachbarin verwickelt.
    Arne und Thea stehen immer noch an der Tür und nehmen die letzten Gäste in Empfang. Als ich an ihnen vorbeistöckele, fragt Arne: »Gehst du schon wieder?«, und küsst kichernd Thea. Ohne meine Antwort abzuwarten, als gäbe es diese Option in Wirklichkeit gar nicht.
    Unter einem schmalen, vor dem Regen nicht wirklich schützenden Vordach steht ein sehr gebückter alter Mann und raucht inbrünstig eine Zigarette. Ich stelle mich kurz nickend dazu und betrachte aus dem Augenwinkel den Opi. Er trägt einen sehr guten Anzug, der das Beste aus seinem demutsvollen Körper macht. »Sind Sie ganz allein hier?«, fragt er mich zwischen zwei tiefen Zügen von seiner »Golden American«. »Kommt drauf an, was Sie heute Abend noch so vorhaben, junger Mann!«, lächle ich ihn an und ernte ein zauberhaftes, wenn auch etwas spuckiges Alte-Männer-Kichern. »Na, Sie sind mir ja eine!«
    Wir rauchen schweigend weiter, bis der Mann sich zu mir umdreht und sagt: »Entschuldigen Sie, ich habe mich nicht vorgestellt. Erich. Unter diesen recht privaten Umständen können wir uns beim Vornamen nennen, oder?«
    »Natürlich sollten wir das tun. Luise. In welchem Verhältnis stehen Sie denn zum Brautpaar?«
    »Ich bin Dorotheas Großvater. Und, so befürchte ich, der Sponsor dieser Veranstaltung. Und Sie?«
    »Ich bin die Freundin eines Freundes des Bräutigams und somit Nutznießer dieser Veranstaltung.«
    »Schön, Sie kennenzulernen. In Ihrem Fall scheint mein Geld gut angelegt.«
    »Das ist nett. Sie tragen übrigens einen ausgezeichneten Anzug, Erich!«
    Er sieht mit einem »Ach, das alte Ding«-Blick an sich herab, sagt dann aber: »Das stimmt. Sie scheinen ein gutes Auge für diese Dinge zu haben.«
    »Ich bin Schneiderin. Auf Herrenanzüge spezialisiert. Wenn ich kein Auge dafür besitzen würde, hätten wir Nüsschen statt überkreativer Geldgeschenke auf diesen Hochzeitsgabentisch legen müssen.«
    Erich zieht ruhig an seiner Zigarette, und ich befürchte, zu weit gegangen zu sein. Kritik am Gabentisch ist beim Großvater der Braut vielleicht nicht angebracht.
    »Wie haben Sie Ihr Geld denn auf den Tisch gelegt? In ein Croissant eingebacken? Als kleines selbstgemachtes Puzzle in winzige Teile zerschnitten?«
    »Ach, wir haben was ganz Ausgefallenes gemacht und das Geld in einen – und jetzt halten Sie sich gut fest, Erich –
Umschlag
gepackt! Einen weißen. So viereckig. Kommt sicher irre gut an beim

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