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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Kuttner
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vor Gott zu versprechen, die Person vor mir zu ehren und zu lieben, »bis einer nicht mehr möchte«, wäre ich sofort dabei.
    »Wird im Standesamt eigentlich auch ›Bis dass der Tod euch scheidet‹ verlangt?«, frage ich Flo, der meine Gedanken nicht unterbrochen hat und stoisch schweigend die in Richtung Polen immer holpriger werdende Autobahn entlangrattert.
    »Keine Ahnung. Ich glaube nicht.«
    »Also ist eine standesamtliche Hochzeit gar nicht auf für immer ausgelegt?«
    »Doch, das schon. Denke ich.«
    »Darum geht’s mir ja nur. Um dieses ›Für immer‹.«
    Es ist wirklich nicht so, dass ich der Liebe nicht vertraue. Ich traue mir selbst nur nicht so recht. Und nicht weil ich ein fahrlässiger Hallodri wäre, nur ändern sich nun mal Dinge, Gefühle, Zustände andauernd. Wie kann ich mit Sicherheit sagen, dass ich für immer meinen Lieblingsmenschen lieben werde, wenn da doch vorher schon andere Lieblingsmenschen waren? Ich habe jeden meiner Freunde von ganzem Herzen geliebt. Immer. Einige länger, andere nicht. Aber für einen gewissen Zeitraum waren sie immer der unbedingte Mittelpunkt meines Herzens. Und irgendwann waren sie es eben nicht mehr. Woran erkenne ich also, dass ich den »Für immer«-Menschen getroffen habe? Bimmelt das Herz dann wirklich anders?
    »Möchtest du mich heiraten?«, frage ich Flo und erkenne an Peter Pans panischem Gesicht, dass meine Frage nicht eindeutig ist.
    »Ich meine nicht demnächst. Das hier ist kein Antrag. Ich meine generell. Bimmelt dein Herz auf eine ›Das ist die Richtige‹
-
Art für mich? Auf eine ›Mit der will ich Kinder haben‹-Art?«
    »Wir sind doch grade erst zusammengezogen!«, sagt Flo fast ein wenig weinerlich.
    Genau. Der erste Schritt von den drei offiziellen. Zusammenziehen, Heiraten, Kinder kriegen. Das wird von uns Liebenden erwartet. Und vor lauter Schreck haben wir angefangen, das automatisch auch von uns selbst zu erwarten. Emanzipation und »Generation y« hin oder her. Und wenn wir uns diesbezüglich nicht richtig sicher sind, fühlen wir uns schlecht. Weil wir doch sollten. Klar: »Alles kann, nichts muss«. Aber sollte man von all dem »Kann« nicht wenigstens ein bisschen »müssen«? Man isst ja auch, wenn jemand extra gekocht hat. Selbst wenn man nicht hungrig ist.
    Dasselbe gilt für das Kinderkriegen. Ich möchte keine Kinder. Nicht jetzt. Keinesfalls. Die Frage ist aber: Wie lange kann ich noch warten? Ist es wirklich schlau, erst dann ein Kind zu bekommen, wenn man nichts auf der Welt dringender möchte? Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommt? Ist es nicht vernünftiger, meine immer weniger werdenden fruchtbaren Jahre zu nutzen und einfach demnächst ein Kind zu machen und zu hoffen, dass man es schon irgendwie gut leiden kann, wenn es erst mal da ist? Ich kenne nur wenig Menschen in meinem Alter, deren Kinder Wunschkinder sind. Aber geliebt werden sie alle wie Sau. Ist das nicht besser, als mit fünfundvierzig Jahren endlich dringend Nachwuchs zu wollen und dann nicht mehr zu können?
    Wobei es nicht besonders schlau wäre, dieses (wenn auch nur theoretische) Fass jetzt zu öffnen. Flo bereitet das Thema Kinder enormes Unbehagen. Natürlich.
    Daher verzichte ich generell darauf, weiter in Flo einzudringen. Dass er sich so windet, verletzt den Romantiker in mir, unterstreicht aber nur meinen Punkt. Flo liebt mich. Das weiß ich. Aber ein »Für immer« ist eben ein »Für immer« ist ein »Für immer«. Es ist groß und bedrohlich, und niemand möchte sich gern mit ihm anlegen. Außer Arne und Thea. Die haben Eier. Oder eine Macke.
     
    Unsere Pension heißt unverdient prätentiös »Zum weißen Hirsch« und beherbergt verstörenderweise ein chinesisches Restaurant. Das Zimmer ist winzig und hat zwei Einzelbetten, die wir ganz automatisch zusammenschieben. Während ich dusche, zieht Flo seinen Anzug an.
    »Krawatte?«, fragt er, als ich aus dem Bad komme.
    »Klar. Wenn, dann richtig!«
    »Aber bin ich dann nicht overdressed?«
    »Ich denke, wir feiern Hochzeit! Man kann für eine ganze Menge Anlässe overdressed sein. Aber eine Hochzeit ist keiner davon«, sage ich und sehe mir meinen etwas unsicher in seinem Anzug steckenden Freund an. Plötzlich tut es mir leid, dass ich in letzter Zeit so oft die Verbindung zu ihm verliere. Dass mir dauernd irgendetwas nicht passt. Mich unser so geliebtes
Wir
plötzlich irgendwie permanent einengt.
    »Du siehst sehr gut aus«, sage ich und umarme Flo

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