Wachtmeister Studer
seinen Stuhl dicht neben Schlumpf. Sonja nickte dem Wachtmeister dankend zu und setzte sich. Ganz leise sagte sie noch einmal und legte ihre kleine Hand mit den nicht ganz sauberen Nägeln auf Schlumpfs Arm:
»Grüeß di. Wie geht's dir?«
Der Bursche schwieg. Studer stand wieder am Kamin, wärmte sich die Waden und blickte auf die beiden. Der Untersuchungsrichter sah ihn fragend an. Studer winkte beschwichtigend ab: »Nur machen lassen.« Zum Überfluß legte er noch den Zeigefinger auf die Lippen:
Ein Windstoß ließ die Scheiben leicht klirren. Dann rauschte eintönig der Regen. Ein neuer Windstoß fuhr in den Kamin, Studer war plötzlich von einer blauen Wolke umgeben. Er hätte husten sollen, gewaltsam unterdrückte er den Reiz. Er wollte die Stille nicht stören…
Sonjas Hand streichelte den Ärmel des Burschen auf und ab, fand das Handgelenk und blieb dort liegen.
»Bist ein Guter«, sagte Sonja leise. Ihre Augen waren weit offen und blickten in die Augen ihres Freundes. Und auch Schlumpf schaute und schaute. Studer erkannte sein Gesicht kaum wieder. Es lächelte nicht, das Gesicht. Es war sehr ernst und ruhig. Es sah wirklich aus, als sei das Schlumpfli plötzlich erwachsen geworden.
»War's sehr schwer?« fragte Sonja leise. Beide schienen vergessen zu haben, daß sie nicht allein im Zimmer waren. Plötzlich seufzte Schlumpf tief auf und dann ließ er den Oberkörper nach vorne fallen. Sein Kopf lag auf dem Schoß des Mädchens. Die kleine Sonja schien zu wachsen. Gerade aufgereckt saß sie da, ihre Hände lagen gefaltet auf dem Kopf des Burschen Schlumpf.
»Ja, du bist ein Guter. Weißt, ich hab' immer an dich gedacht. Immer, immer hab' ich an dich gedacht.« Es klang wie ein Wiegenlied.
Stockend, kaum zu verstehen, denn Schlumpf ließ den Kopf liegen, wo er war, und das Kleid dämpfte noch die Worte: »Ich hab's gern für dich getan.« Dann fuhr der Kopf in die Höhe, Schlumpf lächelte. Es war ein merkwürdig verkrampftes Lächeln; und er sagte:
»Weißt, ich bin den Betrieb schon gewohnt.«
Wenn auch der Kopf sich frei gemacht hatte, Sonjas verschränkte Hände lagen noch immer im Nacken des Burschen. Sie zog ihn näher, küßte ihn auf die Stirn.
»Darfst nicht mehr dran denken, gell? Nie mehr! Das ist vorbei…«
Schlumpf nickte eifrig.
Studer hustete. Es ging einfach nicht mehr, der Rauch setzte sich sonst in seiner Lunge fest. Sein Schneuzen klang wieder wie ein Trompetensignal, aber wie ein triumphierendes. Das Gesicht des Untersuchungsrichters war weich geworden. Er spielte mit einem Papiermesser, trommelte auf dem Aktendeckel, auf dem in schöner Rundschrift stand SCHLUMPF ERWIN und darunter in Blockbuchstaben: MORD.
Er legte den Brieföffner leise ab, klopfte das Aktenbündel mit der Kante auf den Tisch. Dann nahm er einen dicken Schmöker, der am Rande seines Schreibtisches lag, schob den Akt Schlumpf darunter und schlug mit der flachen Hand ein paarmal auf den Buchdeckel.
»Ja«, sagte er und es war ein Seufzer. Er war Junggeselle, schüchtern wahrscheinlich. Vielleicht beneidete er den Burschen Schlumpf. »Ja«, sagte er noch einmal, diesmal ein wenig fester. »Und was hat das alles zu bedeuten, Herr Studer?«
»Oh, nüt Apartigs«, sagte Studer. »Sonja Witschi möchte eine Aussage machen.«
Nun war dies sicher eine Übertreibung, denn Sonja Witschi hatte sich bis jetzt immer standhaft geweigert, eine Aussage zu machen. Sie war sogar stumm gewesen wie ein Fisch.
»Fräulein Witschi«, der Untersuchungsrichter war überaus höflich. »Ich werde sogleich meinen Schreiber rufen lassen, und dann werden Sie uns mitteilen, ob Sie etwas über den Tod Ihres Vaters auszusagen haben.« Er sah nicht auf und ärgerte sich innerlich über die Phrase.
Studer meldete sich. Er wolle gern den Gerichtsschreiber machen, sagte er. Dann sei man mehr unter sich. Und er könne ganz gut mit der Maschine umgehen, wenn es sein müsse. Mit zwei Fingern zwar. Aber es werde wohl langen, wenn Sonja nicht zu schnell erzähle. Der Untersuchungsrichter nickte. Schlumpf mußte aufstehen, er stand an der Wand und starrte auf Sonja. Und Sonja begann zu erzählen.
Der Fall Witschi zum dritten und vorletzten Male
Hinter allem habe der alte Ellenberger gesteckt…
»Das ist der Baumschulenbesitzer in Gerzenstein«, warf Studer ein.
»Woher wissen Sie das?« fragte der Untersuchungsrichter.
»Der Vater hat's mir erzählt. Vor vierzehn Tagen, das weiß ich noch genau. Wir sind zusammen spazieren gegangen, es
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