Wächter der Menschheit - Green, S: Wächter der Menschheit - The Man with the Golden Torc
und in der Leinwand, in der Farbe und sogar in den Pinselstrichen. Spürst du es auch?«
Ich untersuchte das Bild gründlich mit meinem Blick, wobei ich den Schlüssel fest in der Hand hielt, und das ganze Gemälde schien mit einem inneren Licht zu strahlen. Und endlich bemerkte ich etwas, was ich vorher nie gesehen hatte: In dem Silberrahmen befand sich ein kleines, sorgfältig getarntes Schlüsselloch, das in einer Schneckenverzierung versteckt war. Ich machte Molly darauf aufmerksam, dann steckte ich vorsichtig den Schlüssel des Waffenschmieds hinein. Er passte perfekt. Ich drehte ihn herum, und einfach so wurde das ganze Gemälde lebendig. Ich betrachtete kein Bild mehr, sondern eine Szene aus dem Leben, einen Durchlass zu einem anderen Ort. Einen Eingang zur alten Bibliothek. Ich nahm Molly bei der Hand, und gemeinsam traten wir hindurch.
Die alte Bibliothek war gar nicht verloren, war nicht verschwunden, sondern nur vor aller Augen versteckt. Hing die ganzen Jahre lang vor unserer Nase. Die alte Bibliothek, real und unversehrt, die ganze Frühgeschichte und das ganze Wissen letzten Endes doch erhalten! (Erhalten für wen? Nein - darüber denken wir später nach.) Ich blieb ganz still genau im Eingang stehen und blickte mich um. Die alte Bibliothek erstreckte sich in alle Richtungen, endlose Bücherborde und turmhohe Regale, vollgestopft mit Büchern und Handschriften und Schriftrollen, so weit das Auge reichte. Ich schaute hinter mich, und jenseits des offenen Raums der Türöffnung konnte ich weitere Regale, weitere Bücherborde sehen.
Langsam schritt ich durch den Gang vor mir, vor Erschütterung wie betäubt. Die größte Katastrophe in der Geschichte meiner Familie war eine Lüge! Nach allem, was ich bisher in Erfahrung gebracht hatte, hätte mich das eigentlich nicht überraschen dürfen, aber absichtlich so viel Wissen, so viel Weisheit geheim zu halten ... war eine fast unbegreifliche Sünde. Ganz behutsam nahm ich einige der übergroßen Bücher herunter und schlug sie auf. Die Ledereinbände quietschten laut und die Seiten schienen Staub und uralte Gerüche zu verströmen. Es waren bebilderte Handschriften, die Sorte, an denen Mönche jahrelang mühsam gearbeitet hatten. Größtenteils lateinisch, ein paar altgriechisch. Andere Sprachen, in gleichem Maße alt oder obskur. Es gab Palimpseste und Pergamente und Stapel von Schriftrollen, von denen manche so zerbrechlich aussahen, dass ich in ihrer Nähe nicht einmal zu tief zu atmen wagte.
»Hier drin arbeitet irgendeine Art von Magieunterdrückungsfeld!«, sagte Molly auf einmal. »Ich kann es spüren.«
»Das überrascht mich nicht«, meinte ich geistesabwesend, vertieft in eine Schriftrolle, in der es um König Harold und die Seele Albions ging. »Muss eine Sicherheitsmaßnahme sein, um die Inhalte zu schützen.«
»Ich könnte notfalls wahrscheinlich ein paar kleinere Zauber durchzwängen«, fuhr Molly fort, »falls wir uns verteidigen müssen.«
»Würdest du dich bitte mal entspannen?«, sagte ich. »Wir sind die Einzigen hier drin.«
Ich rollte die Schriftrolle wieder zusammen, verknotete das Band wieder und legte sie vorsichtig an ihren Platz zurück. Die Antwort auf meine vorherige Überlegung war klar: Die einzigen Leute, die die alte Bibliothek so hatten verstecken können, waren ... der innere Zirkel der Droods. Die Matriarchin, ihr Rat und ihre Günstlinge. Unsere Geschichte und unsere wahren Anfänge waren gar nicht verloren, waren nicht vernichtet; sie wurden absichtlich vor dem Rest von uns geheim gehalten im Interesse der wenigen Auserwählten. Aber was konnte es hier geben, das so wichtig, so gefährlich war, dass es versteckt werden musste? Das sie nicht mit uns Übrigen teilen konnten oder wollten? Ich ging weiter durch die Regale, öffnete wahllos Bücher und Schriftrollen, fast trunken durch die Aussicht auf so viele Antworten auf so viele Fragen, die mir alle offenstanden. ( Vielleicht hatten sie es deshalb für sich behalten ... damit sie dieses Gefühl genießen konnten.) Als ich tiefer zwischen die Regale vordrang, entdeckte ich Historien in Sprachen, die seit Jahrhunderten niemand mehr benutzt hatte; Werke, auf Pergament und gegerbten Häuten festgehalten von den Sachsen, den Kelten, den Angeln und den Dänen und den Wikingern. Und in anderen Sprachen, die so alt waren, dass sie seit Jahrhunderten niemand mehr laut gesprochen hatte.
»All das war die ganze Zeit hier!«, sagte ich schließlich. »Und ich habe nichts
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