Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
die Farm, zog mit uns in die Stadt und suchte sich einen Job in einer Chemiefabrik. Dann, als ich sechzehn war, hatte er einen Arbeitsunfall, bei dem er erblindete. Irgendwie war es von da an meine Aufgabe, mich um alle zu kümmern. Nicht, weil es meine Eltern so gewollt hatten – mein Vater hasste es, von anderen abhängig zu sein –, sondern aus der Notwendigkeit heraus.« Rachel veränderte ihre unbequeme Position. »Um es kurz zu machen: Ich gewann ein einjähriges Kunststipendium in Paris. Eine dieser einmaligen Gelegenheiten, und meine Eltern bestanden darauf, dass ich sie wahrnahm. Und obwohl ich es besser wusste, habe ich dumme Kuh zugelassen, dass sie mich überredeten. Drei Wochen, nachdem ich nach Paris gezogen war, wurde mein Vater von einem Auto erfasst, als er die Straße überquerte. Beim Einkaufen.«
»Und was ist daran deine Schuld?«
»Einkaufen zu gehen war meine Aufgabe.« Rachel schnitt eine Grimasse. »Du wirst jetzt bestimmt sagen: Woher hättest du denn wissen sollen, dass er angefahren werden würde? Der Haken ist nur – ich wusste es. Ich wusste, wie mein Vater gestrickt war und dass er nicht herumsitzen und sich alles ins Haus liefern lassen würde. Ich wusste, dass er versuchen würde, selbst einkaufen zu gehen. Und trotzdem habe ich ihn allein gelassen.«
»Rachel –«
»Ich bin sofort nach Hause geflogen, um mich um meine Mom zu kümmern. Während des Flugs von Paris nach New York habe ich Grant kennengelernt, und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.«
»Du trägst keine Schuld am Tod deines Vaters.«
»Genauso wenig wie du am Tod deiner Familie. Du hast alles versucht, um deinen Bruder zu retten. Du hast etwas sehr Mutiges getan.«
Lachlan schloss die Augen und küsste Rachel auf den Scheitel. In ihrer Version klang die Geschichte so viel besser als die Wahrheit. Mutig? Niemals, er war ein verfluchter Feigling. Erneut hatte er Gelegenheit gehabt, Rachel von dem Mal auf Emilys Wange zu erzählen, und erneut hatte er die Worte hinuntergeschluckt. Rachel akzeptierte den Tod seines Bruders nur, weil dieser die Chance gehabt hatte, sein Leben zu leben. Aber wozu hatte Emily eine Chance gehabt? Zu nichts. Sie war nie richtig verliebt gewesen. War nicht in einem hübschen Kleid zum Abschlussball gegangen. Hatte nie ihre Berufung im Leben gefunden, welche es auch immer sein mochte. Hatte nie geheiratet und Kinder bekommen. Und das Ringen darum, dies zu akzeptieren, würde Rachel das Herz brechen.
Vergib mir, flehte Lachlan stumm.
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17
A ls Lachlan und Rachel auf dem Nordgipfel des Mount Misery ankamen, warteten Brian und die anderen bereits. Zu Lachlans Überraschung waren seine jungen Schüler vollständig angetreten, obwohl zwei ihrer Waffenbrüder ihr Leben gelassen hatten. Überdies hatten sogar zwei andere, gestandene Seelenwächter mit jahrelanger Kampferfahrung den Platz der Gefallenen eingenommen. Jeder der Krieger hielt ein rasiermesserscharfes Schwert in Händen und trug eine schwere, schimmernde Silberkette um den Hals.
Rachel warf einen Blick auf Stefans Gummistiefel und seinen fülligen Bauch und fragte flüsternd: »Ist das der Magier?«
»Richtig. Gut geraten.«
»Er sieht nicht sehr … mächtig aus.«
Lachlan warf dem Magier einen kurzen Blick zu. »Der äußere Schein trügt.« Zu Brian sagte er: »Deine SMS mit den GPS -Daten kam ein wenig spät, Webster.«
»Ja, tut mir leid. Wir haben auf dem Jahrmarkt eine Weile gebraucht. Rachel hatte übrigens recht. Obwohl dort nicht Drusus’ Schlupfwinkel liegt. Aber wir haben etwas anderes gefunden, den Zugang zu einer seltsamen kosmischen Brücke zwischen zwei Orten. Dein Kumpel Stefan hatte Probleme, das Ding einzuschalten, aber mit ein bisschen Hokuspokus hat er es geschafft.« Der jüngere Mann deutete auf eine schattenhafte Felsspalte. »Wir sind dort wieder herausgekommen, vor dem Eingang zu einer unterirdischen Höhle. Vom Jahrmarkt hierher in einem einzigen Schritt, ein höllischer Trip – im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben uns fast in die Hosen gemacht.«
Lachlan nickte Stefan anerkennend zu. Zwielichtig oder nicht, die Fähigkeiten des Magiers waren durchaus von Nutzen. »Ausgezeichnete Arbeit. Ich nehme an, ihr habt bereits eure Schildzauber verstärkt?«
»Ja.«
Lachlan sah auf die Uhr und rief: »Es ist elf! Gehen wir hinein.« Dann erinnerte er sich daran, was ihm die Herrin des Todes geraten hatte. »Noch eins: Dies ist der Moment, in dem ihr euren Groll gegen Gott
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