Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
einzuschüchtern, misslang ihm das gründlich. Trotz der Größe hatte sie keine Angst vor ihm. »Ich kann Em nicht alleinlassen. Nicht mit denen da.«
»Ich vermute, dass sie nicht mehr lange hierbleiben, aber ich werde sie beobachten – nur um ganz sicherzugehen.« Er sah Rachel mit einem sonderbar innigen Blick in die Augen, so als würden sie mehr teilen als nur den Wunsch, Emily zu beschützen. Rachels Herz begann zu hämmern. »Sie müssen jetzt nach Hause fahren.«
»Aber –«
»Sie werden doch sicher zu Hause sein wollen, wenn Ihre Tochter zurückkommt.«
Sonst würde Em erkennen, dass Rachel ihr gefolgt war. Das war ein Argument. Doch Rachel wand sich noch immer. »Wenn er –«
»Wenn er mehr will als einen Kuss, werde ich mich darum kümmern.« Er strich ihr eine Locke aus dem Gesicht und steckte sie hinter dem Ohr fest. »Versprochen.«
Und noch bevor sie einwenden konnte, dass dann sieben gegen einen ständen, war er verschwunden.
Am nächsten Morgen klingelte der Wecker präzise um 6 Uhr 55. Rachel schlug auf den Ausknopf und rollte sich mit einem leisen Stöhnen auf den Rücken. Der Schlaf in den Augen fühlte sich wie Kies an. Nach ihrer Rückkehr hatte sie wachgelegen, angespannt und besorgt, bis Em ebenfalls heimgekommen war. Lachlan hatte recht behalten: Em war offenbar gleich nach ihr aufgebrochen.
Lachlan.
Sie grinste in die Dunkelheit. Wann hatte sie damit angefangen, ihn im Stillen Lachlan statt Pater MacGregor zu nennen? Wenn sie nicht aufpasste, würde es ihr herausrutschen, während sie mit ihm sprach. Gleichgültig, wie attraktiv er sein mochte, man redete einen Priester nicht bei seinem Vornamen an, es sei denn, man setzte ein Pater davor. Verheiratet mit Gott, schon vergessen? Zölibat auf Lebenszeit. Rachel schnaubte. Es war fast unmöglich, sich vorzustellen, dass ein Mann, der so gut aussah wie Lachlan MacGregor, sexuell enthaltsam sein sollte. Wie zum Henker schaffte er das nur?
Rachel schloss die Augen. Das ging sie verdammt noch mal nichts an. Sie sollte lieber darüber nachdenken, was sie Em sagen wollte, und nicht über das Liebesleben eines Mannes, der so unerreichbar für sie war wie der Mond. Rachel musste sich entscheiden, ob sie die tyrannische Mutter geben oder gar nichts sagen würde. Sollte sie warten, bis sie mehr über die Vorfälle von letzter Nacht wusste, oder einfach das Fenster verriegeln und ihre Tochter in deren Zimmer einsperren?
Rachel zog sich ein Kissen übers Gesicht und atmete den zitronenfrischen Duft ein. Wo war der Erziehungsratgeber, der einem erklärte, wie man vollkommen ruhig blieb angesichts pubertärer Allüren und nächtlicher Motorradspritztouren mit biertrinkenden und grasrauchenden Fremden? Denn ehrlich gesagt konnte Rachel nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass sie ruhig bleiben würde. Sorge brannte sich in ihre Brust. Bereits in wenigen Minuten musste sie Em über die Müslischale hinweg in die Augen schauen und lächeln. Wie, verdammt noch mal, sollte ihr das gelingen, wenn die nächsten Worte die Beziehung zu ihrer Tochter wahrscheinlich für immer vergiften würden?
Wie sich herausstellte, war ihre Sorge überflüssig.
Em begann den Tag mit glasigen Augen und ungewöhnlich bleichem Gesicht. Wie eine Schlafwandlerin brachte sie das Frühstück hinter sich, verließ das Haus und stieg in den Bus. Mit hängendem Kopf nahm sie kaum Notiz von ihrer Mutter. Müdigkeit in Kombination mit der pubertätsüblichen Verschlossenheit retteten den frühen Morgen.
Rachels Kolleginnen, die wie Zombies vor der Kaffeemaschine Schlange standen, sahen nicht viel besser aus. Keine von ihnen sprach Rachel auf ihre dunklen Augenringe an – nicht einmal Amanda. »Zieh den Kopf ein«, murmelte Amanda, während sie zwei Tassen vom Regal nahm und eine davon Rachel gab. »Sie hat heute schlechte Laune.«
Rachel nickte abwesend, während sie die Tasse in Empfang nahm. Mit
sie
war Celia Harper, die Kreativchefin der Firma, gemeint. Bereits gut gelaunt war sie eine schwierige Vorgesetzte, doch in schlechter Verfassung war sie schlimmer als der Leibhaftige. Der Trick bestand darin, ihr den Gefallen zu tun, einen so großen Bogen wie möglich um sie zu machen, während man auf wunderbare Weise genau die Entwürfe produzierte, die sie haben wollte.
Rachel schenkte sich Kaffee ein, hob die Tasse unter ihre Nase und genoss den wunderbaren Duft. In Vorfreude auf den bevorstehenden Energieschub seufzte sie: »Mandy, es gibt einen Gott, und sein
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