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Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman

Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman

Titel: Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette McCleave
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Em.«
    Sie öffnete den Mund, um das Liebesbekenntnis zu erwidern, wie sie es bereits Dutzende Male zuvor bedenkenlos getan hatte. Aber Carlos’ Bild erschien in ihrem Kopf, mit seinen braunen Augen, die so bekümmert dreinsahen wie ihre eigenen. Der schwarze Schleier über Ems Gedanken lüftete sich, und sie zögerte – nur eine Sekunde lang. Dann sagte sie: »Ich liebe dich auch, Drew. Bis morgen.«
    Em klappte das Handy zusammen und legte es zurück aufs Bett. Sie starrte noch für eine Weile auf das silberglänzende Gehäuse und dachte darüber nach, warum es ihr zum ersten Mal derart schwergefallen war, diesen Satz auszusprechen.
     
    Am nächsten Morgen regnete es. Das stetige Nieseln erweckte den verdorrten Rasen zu neuem Leben und erinnerte Lachlan, wenn auch nur kurz, an das feuchte Klima Schottlands. Mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand stand er auf dem Balkon und hielt das Gesicht in den feinen Sprühregen. Fast hätte er Emilys Gang zur Bushaltestelle verpasst. Doch das Stöhnen, mit dem das Mädchen den großen Rucksack schulterte, lenkte Lachlans Aufmerksamkeit auf den Steinpfad vor dem Haus, auf Emilys mit Strähnchen durchzogene Haare und die schwarz geschminkten Augen.
    Und dann hörte die Welt auf, sich zu drehen. Vielleicht hätte Lachlan es an einem hellen, sonnigen Tag gar nicht bemerkt, doch in diesem wolkenverhangenen Zwielicht glühte das perlweiße Mal wie ein Leuchtfeuer, selbst durch das blasse Make-up des Mädchens hindurch. Selbst durch den Regen.
    Die Spirale des Todes auf Emilys Wange.
    Der Kaffee schmeckte plötzlich nach Galle. Die Tatsache, dass Lachlan das Symbol sehen konnte, bedeutete, dass er dazu bestimmt war, ihre Seele zu holen. Lachlan schloss die Augen und sperrte das Bild des grauenhaften, unabänderlichen Mals aus – unwillig zu akzeptieren, dass es tatsächlich dort war. Es konnte nicht sein. Die Herrin des Todes hatte ihm erst einen Tag zuvor versichert, dass Emily noch nicht von Nutzen für sie war und dass Lachlan sie bewachen, beschützen sollte. Warum hätte sie das sagen sollen? Es sei denn … Er riss die Augen wieder auf. Sie hatte gelogen! Sie wusste, dass er sich mit Emily angefreundet hatte und dass er versuchen würde, das Mädchen zu retten. Die elende Hexe hatte gesagt, was nötig gewesen war, um Lachlan in Sicherheit zu wiegen, und Emily dann kaltblütig ausgespäht und ihre Wange mit dem Zeichen gebrandmarkt. Einem Zeichen, das sich – wie Lachlan nur zu gut wusste – nicht entfernen ließ. Niemals.
    Emily würde sterben. Und zum Teufel noch mal, es gab nichts, was Lachlan dagegen unternehmen konnte.
    Von bitterer Reue übermannt schleuderte der Seelenwächter seine Tasse gegen die weiß getünchte Mauer des Apartmentgebäudes und sah zu, wie die dunkelbraune Flüssigkeit auf den Verputz spritzte, daran hinablief und langsam vom feinen Regen abgewaschen wurde.
    Gütiger Gott, wie sollte er nun Rachel gegenübertreten?
     
    Rachel hatte an diesem trostlosen, verregneten Tag eine Stärkung bitter nötig und gönnte sich eine Vanilla Latte von Starbucks. Als sie aus dem Café trat, den Pappbecher in der einen Hand und in der anderen die Handtasche, entdeckte sie einen Mann, der im Regen an der Straßenecke stand. Es war niemand, den sie kannte, ein Fremder. Jemand in einem leichten Mantel, der fast bis aufs Haar dem Dutzend anderer Passanten glich, die an diesem Morgen auf dem Bürgersteig unterwegs waren. In einem Aspekt unterschied er sich allerdings von ihnen: Er sprach unheimlich laut. Und zwar zu niemandem. Außerdem in heftigen Worten, die von unvermitteltem, aufdringlichen Gelächter und einer auffallenden Gestik und Mimik begleitet waren. Dann und wann hielt er inne, legte den Kopf schief, als lauschte er auf jemandes Antwort, und wiederholte dann sein Gefasel.
    Offenbar war der Mann psychisch gestört, schizophren vielleicht. Er war nicht wie Lachlan. Lachlan sah nicht nur normal aus, er verhielt sich auch normal. Er wusste, was er tat. Nichts deutete bei ihm auf wirre Gedanken hin, auf übertriebenes Stressverhalten, auf jemanden, der nicht geistig gesund war und nicht rational dachte. Als Rachel Lachlan und diesen Mann miteinander verglich, hielt sie ihre Vermutung, dass Lachlan verrückt sein müsse, selbst für verrückt.
    Sie ging an dem wild gestikulierenden Mann an der Ecke vorbei und bog auf die Datsun Street ein. Ihr kleines Auto röhrte beim Anlassen gefährlich und stimmte sich dann auf ein tiefes, gleichmäßiges

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