Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
den Wänden wider. »Uns läuft die Zeit davon, Rachel.«
»Du meinst, Drew wird irgendetwas unternehmen?«
»Genau.«
»Immerhin ist mir endlich etwas eingefallen, das sich Em wünscht. Sie hat sich sehr auf einen Ausflug mit der Schulband im Mai gefreut. Leider musste ich ihr gestern sagen, dass sie nicht mitfahren kann, und seitdem ist sie so wütend wie lange nicht mehr.« Verlegen röteten sich Rachels Wangen. »Aber wir haben einfach nicht das Geld dafür.«
Lachlan strich Rachel mit der Hand über den weichen wollenen Ärmel, nahm ihre nassen Finger in seine und drückte sie sanft. Bis Mai war es noch lange hin. Das Durcheinander der Gefühle, das für Em mit dem Schulausflug verbunden war, würde sich bis dahin gelegt haben. Es war unwahrscheinlich, dass dieser Wunsch Drusus die Gelegenheit bot, Em vollständig zu korrumpieren. Aber Lachlan hatte nicht den Mut, Rachel das zu sagen. »Gut.« Mehr brachte er nicht hervor. Er wollte Rachel trösten, sie beruhigen, sie in den Arm nehmen und ihr ein wenig von seiner Stärke abgeben, doch im Moment fühlte er sich selbst hilflos. Die Zunge klebte ihm am Gaumen.
»Ich habe nachgedacht«, sagte Rachel leise. Ihre Blicke trafen sich, und Rachels Augen leuchteten auf. »Ich habe beschlossen, dir zu glauben.« Sie schickte diesen Worten weder Erklärungen noch Rechtfertigungen oder Entschuldigungen hinterher. Sie ließ ihren Satz in seiner Schlichtheit und Schönheit einfach stehen.
Die letzten Mauern um Lachlans Herz stürzten ein.
Er verdiente ihr Vertrauen nicht. In umso heftigerem Aufruhr rauschte sein Blut durch die Adern. Bei Gott, was konnte er sich mehr wünschen? Trotz all der Zweifel, trotz des jämmerlichen Mangels an Beweisen, die seine Aussagen hätten stützen können, setzte Rachel ihr Vertrauen in ihn. Sie gab ihre bisherigen Vorstellungen und Grundsätze auf. Für ihn. Und nicht nur, dass sie ihm glaubte, sie schien auch entschlossen, es zu beweisen. Rachel ließ die Handtasche auf den Marmorboden fallen, lehnte sich an Lachlans Brust, tauchte die schlanken Finger in sein triefendes Haar und küsste ihn – mit weit offenem Mund, heftig und unglaublich zärtlich. Sie schmeckte nach Vanille.
Die hitzige Wärme in Lachlans Blut flammte zu einem rasenden Feuer auf – er konnte sich nicht länger zurückhalten, erwiderte den Kuss. Er sog ihn ein wie ein Ertrinkender, voller Angst, dass dies vielleicht der letzte Kuss war, den sie sich geben würden. Mit geschlossenen Augen drückte Lachlan seinen Mund auf ihren, als wäre sie sein, als läge nicht ein namenloser, dunkler Abgrund zwischen ihnen, als würde die Zukunft Licht und Verheißung für sie bereithalten und nicht Finsternis und Verzweiflung.
Als er endlich von ihr abließ, damit sie wieder zu Atem kam, sagte sie nur ein Wort: »Wow!«
Er lächelte zustimmend, doch zum ersten Mal fiel es ihm schwer, Rachels Blick standzuhalten. »Von jetzt an werde ich immer in Emilys Nähe bleiben. Um zu verhindern, dass Drusus sie weiter mit seinen Lügen einwickelt.«
»Danke. Je mehr ich über ihn nachdenke, desto mehr Angst macht er mir. Wusstest du, dass er so alt ist wie das Christentum?«
»Von wem hast du das denn gehört?«
»Ich habe im Internet recherchiert. Er war als römischer Zenturio hochdekoriert und wurde Pontius Pilatus als politischer Berater zur Seite gestellt. Seine Karriere war steil, endete allerdings ziemlich bitter: Im selben Jahr, als man Jesus ans Kreuz nagelte, wurde Drusus vergiftet. Pilatus selbst soll es gewesen sein, wenn die Gerüchte der Wahrheit entsprechen.«
Also war Drusus gerade zur rechten Zeit erschienen, um das Protektorat zu zwingen, das Linnen zu verstecken – eine Information, die keinen offensichtlichen Nutzen hatte, aber es doch wert war, unter Verschluss gehalten zu werden.
Rachel sah auf die Uhr. »Ich muss gehen.«
Lachlans Finger schlossen sich um ihren Arm. »Ruf mich sofort an, wenn etwas Ungewöhnliches geschieht.«
»Gehst du diesmal ans Telefon?«
Er fuhr zusammen. »Dafür muss ich mich entschuldigen. Ich hatte keinen Empfang.«
»Schon gut, sorg einfach dafür, dass es nicht wieder vorkommt.«
»Rachel, ich …«
Sie legte den Kopf zur Seite und sah ihn neugierig und voller Vertrauen an. »Ja?«
Die Worte gefroren in Lachlans Mund. Er konnte es nicht. Er konnte Rachel nicht in die Augen blicken und sagen, dass Emily sterben würde – konnte nicht zugeben, dass er, der Krieger, der bereits seine Familie und seinen Bruder im Stich
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